Die Entlarvung
in ihrem alten Zimmer. Wenn sie am nächsten Morgen früh genug aufstand, käme sie immer noch rechtzeitig ins Büro. Ben wollte sie heute abend anrufen, aber sie konnte ihm ja die Nummer ihrer Eltern auf dem Anrufbeantworter hinterlassen. Sie fühlte sich nun viel besser, die Niedergeschlagenheit, die sie vorhin noch bedrückt hatte, war verschwunden. Sie verschwendete keinen Gedanken an Harold King, als sie ihre Wohnung betrat und die Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter änderte, damit Ben sie erreichen konnte.
Die Beobachter hielten fest, daß Julia ihre Wohnung um sechs Uhr verließ. Sie folgten ihrem BMW, bis er sich den Randbezirken Londons näherte. Dann wurden sie durch ein anderes Team abgelöst.
Sie waren heute schon bei Jean Adams gewesen.
Früh am Morgen, noch vor dem Spaziergang mit den Hunden, hatte die Telefongesellschaft bei Jean angerufen, um sie über einen Defekt in ihrer Leitung zu informieren. Sie hatte noch beim Frühstück gesessen und die Times gelesen. Sie zog diese Zeitung dem Telegraph vor, der für ihren Geschmack zu sehr nach rechts tendierte. Die Unparteilichkeit der Times dagegen hatte sie seit ihrer Jugend angesprochen.
»Meine Leitung ist nicht defekt«, protestierte sie. »Ich habe heute morgen schon zweimal telefoniert.«
»Das Problem tritt dann auf, wenn Sie angerufen werden, Madam, nicht, wenn sie selbst telefonieren«, erklärte der Mann am Telefon. »Ich würde gern jemanden vorbeischicken, der sich die Sache einmal anschaut. Sind Sie in einer halben Stunde zu Hause?«
Sie entschloß sich, etwas später mit den Hunden hinauszugehen. Sie hatte an diesem Morgen sowieso nicht viel zu erledigen. Außer daß sie ihren Anwalt anrufen mußte, um ihm ihre Entscheidung mitzuteilen. Sie hatte die ganze Nacht schlecht geschlafen und immer wieder hin und her überlegt. Aber nun stand ihr Entschluß fest. Sollte der Entstörungsdienst ruhig kommen und nach dem Fehler suchen. »Ja«, sagte sie. »Ich bin zu Hause. Ich muß schon sagen, Ihr Service hat sich sehr verbessert. Früher mußte man mehrere Tage warten, wenn es eine Beanstandung gab. Der positive Effekt der Privatisierung, nehme ich an.«
»Freut mich, daß Sie zufrieden sind. In einer halben Stunde ist unser Mitarbeiter bei Ihnen.«
Ein angenehmer Mensch, dachte Jean. Früher waren die Angestellten der Gesellschaft immer so unfreundlich gewesen. Mit der Privatisierung hatte die Regierung wenigstens einmal eine sinnvolle Entscheidung getroffen. Sie brühte frischen Tee auf und setzte ihre Lektüre der Times fort. Der Reparaturdienst erschien – wie angekündigt – eine halbe Stunde später. Der Mann brauchte zehn Minuten, um das Telefon im Wohnzimmer und den zweiten Apparat im Schlafzimmer zu überprüfen. Er machte einen mürrischen, verschlossenen Eindruck. Er kam die Treppe herunter und verkündete: »Alles fertig.«
»Wo lag denn der Fehler?« wollte sie wissen. Sein Benehmen gefiel ihr nicht. Er tat sehr herablassend, so als hätte sie ihn für nichts und wieder nichts bestellt.
»Ein abgelöster Draht, nichts an der Leitung. Sie werden keine Probleme mehr haben.«
»Von den Problemen habe ich sowieso nichts bemerkt«, entgegnete Jean Adams scharf.
Diese blasierte Art ließ sie sich nicht bieten. Sie begleitete ihn hinaus, ohne sich für sein Kommen zu bedanken. Im Wohnzimmer hob sie den Telefonhörer ab. Der Apparat funktionierte einwandfrei. Sie ahnte nichts von der Wanze, über die ihre Gespräche von nun an abgehört und aufgenommen werden sollten. Jean Adams nahm die Hundeleine und führte zuerst die alte Daisy aus, mit der sie nur einmal die Straße auf und ab ging. Das ungestüme Hundebaby brauchte da schon mehr Bewegung. Nachdem sie Daisy zurückgebracht hatte, setzte sie sich mit Poppit in den Wagen und fuhr hinaus in die freie Natur.
Es war ein wunderschöner, sonniger Herbsttag. Belebt kehrte sie von dem Aufenthalt an der frischen Luft nach Hause zurück. Innerlich fühlte sie sich jetzt ganz ruhig. Um Viertel nach zwölf rief sie ihren Anwalt an und teilte ihm mit, daß sie morgen nachmittag die eidesstattliche Erklärung zu unterzeichnen gedenke. Er hatte sich geweigert, das Schriftstück vorzubereiten, der arme Mann. Er hatte auf sie eingeredet, Argumente aufgezählt, versucht, sie hinzuhalten. Aber obwohl sie unsicher war und lange gezögert hatte, war ihr immer bewußt gewesen, daß sie sich ihm eines Tages widersetzen würde.
In ihrem Alter mußte man nicht mehr so sehr an die Zukunft denken.
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