Die Entlarvung
Jungtalente auf. Einige besonders eifrige junge Männer hatten es gleich auf seinen Job abgesehen. Ben Harris hatte sie alle überdauert. Wegen Julia Hamilton brauchte er sich keine Gedanken zu machen. Sie war die erste Frau, die Western je eingestellt hatte – was mit Sicherheit etwas zu bedeuten hatte. Irgendeine dumme Laune, eine plötzliche Anwandlung mußte ihn dazu bewogen haben, sie auszuwählen. Und er, Harris, sollte sich nun um sie kümmern.
Sie würde es nicht schaffen, davon war er überzeugt. Er mußte es ihr sicher nicht einmal besonders schwermachen. An der Nachrichtenredaktion würde sie sich die Zähne ausbeißen. Wenn sie vernünftig war und ein wenig Verstand besaß, würde sie sich in der Frauenredaktion umsehen, wo es vielleicht eine Zukunft für sie gab.
Ben Harris hatte sich allmählich hochgearbeitet. Bereits als Teenager hatte er an kleinen, kostenlosen Zeitschriften mitgewirkt, später dann an wöchentlich erscheinenden Magazinen. Er spielte den Laufburschen für jedermann, war sich für keinen Dienst zu schade. Aber er hatte Talent; er konnte schreiben und hatte ein Gespür für eine gute Story. Sein Einsatz war unermüdlich. Beharrlich kämpfte er sich nach oben, bis er eine Stelle bei einer angesehenen Midlands -Zeitung ergatterte. Und dann hatte er das Angebot aus London erhalten, dem Mekka der Western-Gruppe. Er war inzwischen verheiratet und hatte zwei Kinder.
Seine Frau wollte nicht umziehen. Sie fühlte sich wohl in ihrem Haus in Birmingham; sie hatte Freunde, die Kinder gingen gern zur Schule. Mit dem Umzug nach London begann die Ehe auseinanderzubrechen. Mittlerweile waren sie seit vielen Jahren geschieden. Ben Harris lebte nur für seinen Job. Manchmal, wenn er zu tief ins Glas geschaut hatte, behauptete er, er sei nicht mit Muttermilch, sondern mit Tinte gestillt worden. Er war zäh, hatte keine Freunde – lediglich Kollegen und mögliche Rivalen. Ein einziges Motto bestimmte sein Leben: Kehre dem Feind niemals den Rücken zu. J. Hamilton würde er ihn jedoch getrost zuwenden können.
Sie war bereits seit einem Monat in der Redaktion, als er Davis anwies, ihr ein paar kleinere Reportagen zu übertragen. Er hatte beobachtet, daß sie Davis' Annäherungsversuche abgewimmelt hatte, ohne sich ihn zum Feind zu machen. Überhaupt verhielt sie sich allen Kollegen gegenüber recht zurückhaltend. Zu mehr als einem gemeinsamen Drink nach der Arbeit hatte es noch niemand bei ihr gebracht. Wohl oder übel mußte er sie dafür achten.
Alles, was sie in der Folgezeit zu Papier brachte, wurde von Harris' Stellvertreter gnadenlos niedergemacht. Das meiste landete im Reißwolf, ohne daß es je in den Druck gegangen war. Ben wartete darauf, daß sie sich beklagen würde. Die meisten anderen hätten sich schon längst beschwert, zwar nicht unbedingt bei ihm – er gab sich mit solchen Trivialitäten nicht ab –, aber er hätte davon gehört. Er war über alles informiert, was im Büro vor sich ging.
J. Hamilton jedoch – er vermied es, sie beim Vornamen zu nennen – nahm sich ihre nächste Aufgabe vor und sagte nichts. Allmählich begann er, ihre Qualitäten zu schätzen: sie war ruhig, engagiert und anpassungsfähig. Eines Morgens verlangte er nach ihrem neuesten Artikel. Sie hatte über eine Protestaktion berichtet, die sich gegen einen gefährlichen Straßenabschnitt in der Nähe einer Schule richtete. Es handelte sich um einen kurzen Beitrag, für den irgendwo im hinteren Teil der Zeitung ein Platz reserviert war und der nicht einmal ein Bild wert war. Nichts als ein paar aufgebrachte Eltern, die mit Plakaten herummarschierten. Routine, langweiliger Stoff … Er las den Artikel. Danach rief er seinen Stellvertreter, dessen Job es war, Julias Arbeiten zu verreißen, zu sich und wies ihn an: »Das hier ist gut. Pfusch nicht daran herum. Aber kein Wort davon, daß ich etwas gesagt habe.«
Er beobachtete ihren Erfolg. Kontinuierlich und unaufhaltbar ging es aufwärts mit ihr. Sie hatte die harte Anfangszeit mit Würde und Ausdauer hinter sich gebracht. Die übrigen Mitarbeiter mochten sie und begannen, sie als Kollegin zu akzeptieren. Die hämischen Witze und die Wetten, wer sie wohl als erster ins Bett bekäme, hatten aufgehört. Unbemerkt, stellte Harris fest, war sie eine von ihnen geworden. Sie ging auf Reportage – nun häufig in Begleitung eines Fotografen –, gab nach der Arbeit ihre Runde in der Kneipe aus und bat niemanden um einen Gefallen, nur weil sie eine Frau
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