Die Entmündigung (German Edition)
die sich schlängelnden Bewegungen der Marquise veranlaßten.
»Nun, mein Herr«, entgegnete die Marquise, »wie stark auch meine Abneigung ist, den Egoisten zu spielen, ich leide schon seit zu langer Zeit, um nicht zu wünschen, daß Sie mit der Sache schnell zu Ende kämen. Werde ich auf eine baldige glückliche Lösung hoffen können?«
»Gnädige Frau, ich werde alles, was an mir liegt, tun, um sie zu Ende zu bringen,« sagte Popinot mit einem Gesichtsausdruck voller Biederkeit. »Kennen Sie den Grund, der die Trennung zwischen Ihnen und dem Marquis d'Espard veranlaßt hat?« fragte der Richter und sah die Marquise an.
»Nein, mein Herr«, sagte sie und setzte sich zurecht, um einen vorbereiteten Bericht zu erstatten. »Zu Beginn des Jahres 1816 schlug mir Herr d'Espard, dessen Laune sich seit drei Monaten völlig geändert hatte, vor, mit ihm bei Briançon, auf einem seiner Güter zu leben, ohne Rücksicht auf meine Gesundheit zu nehmen, die das Klima dort ruiniert haben würde, und ohne meine Lebensgewohnheiten in Betracht zu ziehen; ich weigerte mich, ihm zu folgen. Meine Ablehnung brachte ihn zu so unbegründeten Vorwürfen, daß ich von diesem Moment an Verdacht über die Klarheit seines Geistes schöpfte. Am nächsten Tage verließ er mich und überließ mir sein Hotel, die freie Verfügung über mein Einkommen, mietete sich in der Rue de la Montagne-Sainte-Geneviève ein und nahm meine beiden Kinder mit sich.«
»Gestatten Sie, gnädige Frau, unterbrach sie der Richter, »wie hoch war dieses Einkommen?
»Sechsundzwanzigtausend Franken Rente«, antwortete sie nebenhin. »Ich konsultierte sofort den alten Herrn Bordin, um zu wissen, was ich zu tun hätte,« fuhr sie fort; »aber es scheint, daß die Schwierigkeiten, einem Vater die Erziehung seiner Kinder zu nehmen, so groß sind, daß ich mich darauf beschränken mußte, mit zweiundzwanzig Jahren allein zu leben, einem Alter, in dem viele junge Frauen Torheiten begehen können. Sie haben jedenfalls meinen Antrag gelesen, mein Herr; Sie kennen die Haupttatsachen, auf die ich mich stütze, um die Entmündigung des Herrn d'Espard zu verlangen?«
»Haben Sie, gnädige Frau«, fragte der Richter, »Schritte getan, um Ihre Kinder von ihm wieder zu erhalten?«
»Jawohl, mein Herr, aber sie waren alle vergeblich. Es ist sehr grausam für eine Mutter, der Liebe ihrer Kinder beraubt zu sein, besonders wenn sie einem die Freuden gewähren könnten, an denen alle Frauen hängen.«
»Der Ältere muß sechzehn Jahre alt sein«, sagte der Richter.
»Fünfzehn«, erwiderte die Marquise schnell. Hier sah Bianchon Rastignac an. Madame d'Espard biß sich auf die Lippen.
»Inwiefern kommt das Alter meiner Kinder für Sie in Betracht?«
»Ach, gnädige Frau,« sagte der Richter, ohne daß er auf die Bedeutung seiner Worte zu achten schien, »ein junger Mensch von fünfzehn Jahren und sein Bruder, der sicher dreizehn Jahr alt sein wird, besitzen doch Beine und Intelligenz, sie würden Sie doch heimlich besuchen; wenn sie nicht kommen, so gehorchen sie ihrem Vater, und um ihm so weit zu gehorchen, müssen sie ihn sehr liebhaben.«
»Ich verstehe Sie nicht«, sagte die Marquise.
»Sie wissen vielleicht nicht,« erwiderte Popinot, »daß Ihr Anwalt in Ihrem Klageantrag behauptet, daß Ihre lieben Kinder sehr unglücklich bei ihrem Vater sind ...«
Madame d'Espard sagte mit reizender Harmlosigkeit: »Ich weiß nicht, was der Anwalt mich hat sagen lassen.«
»Verzeihen Sie mir meine Schlüsse, aber die Justiz muß alles abwägen«, fuhr Popinot fort. »Was ich Sie frage, ist von dem Wunsche diktiert, die Angelegenheit genau kennen zu lernen. Nach Ihrer Ansicht hätte Herr d'Espard Sie unter dem frivolsten Vorwand verlassen. Anstatt nach Briançon zu gehen, wohin er Sie bringen wollte, ist er in Paris geblieben. Dieser Punkt ist nicht klar. Kannte er diese Frau Jeanrenaud vor seiner Heirat?«
»Nein, mein Herr«, antwortete die Marquise mit einer Art Mißfallen, das nur für Rastignac und für den Chevalier d'Espard bemerkbar war.
Sie fühlte sich verletzt, daß sie von diesem Richter so auf das Sünderstühlchen gesetzt wurde, während sie sich vorgenommen hatte, sein Urteil zu verwirren; aber da die Haltung Popinots absichtlich harmlos blieb, so schob sie seine Fragen dem »Ausfragegeist« von Voltaires Schultheißen zu.
»Meine Eltern«, fuhr sie fort, »haben mich im Alter von sechzehn Jahren mit Herrn d'Espard verheiratet, dessen Name, Vermögen und Lebensweise
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