Die Entmündigung (German Edition)
unterstützte ihre Günstlinge mit einer Zähigkeit, die bewies, daß sie weniger Gewicht darauf legte, sich Kreaturen zu schaffen, als das Vertrauen zu ihr zu erhöhen. Dieses Verhalten war ihr von ihrer Hauptleidenschaft eingegeben, von ihrer Eitelkeit. Eroberungen und Vergnügungen, an denen so viele Frauen hängen, schienen ihr nur Hilfsmittel zu sein: sie wollte an allen Stellen des größten Kreises, den das Leben umschreiben kann, leben. Unter den noch jungen Männern, die sich an großen Tagen in ihren Salons drängten, fielen die Herren de Marsay, de Ronquerolles, de Montriveau, de la Roche-Hugon, de Sérizy, Ferrand, Maxime de Trailles, de Listomère, die beiden Vandenesse, du Châtelet u.a. auf. Häufig ließ sie einen Mann bei sich zu, ohne seine Frau empfangen zu wollen, und ihre Macht war stark genug, um solche harten Bedingungen gewissen ehrgeizigen Personen aufzuerlegen, wie den beiden berühmten royalistischen Bankiers, den Herren de Nucingen und Ferdinand du Tillet. Sie hatte die starken wie die schwachen Seiten des Pariser Lebens so genau studiert, daß sie ihr Benehmen so einzurichten wußte, um keinem Mann auch nur den geringsten Vorteil über sich einzuräumen. Man hätte eine ungeheure Summe für ein Billett oder einen Brief, worin sie sich kompromittierte, aussetzen können, ohne auch nur einen einzigen zu finden. Wenn die Unempfindlichkeit ihrer Seele ihr gestattete, ihre Rolle natürlich zu spielen, so kam ihr ihr Äußeres dabei nicht weniger zustatten. Sie besaß eine jugendliche Figur. Ihre Stimme war, wie sie es wünschte, biegsam, frisch, klar und hart. Sie besaß in höchstem Grade das Geheimnis aristokratischer Haltung, mit der eine Frau das Gewesene auslöscht. Die Marquise verstand die Kunst sehr wohl, einen ungeheuren Zwischenraum zwischen sich und den Mann zu legen, der nach einem flüchtigen Glück ein Recht auf Vertraulichkeit zu haben glaubt. Ihr gebietender Blick verstand, alles zu leugnen. Bei ihrer Unterhaltung schienen erhabene schöne Gefühle, vornehme Grundsätze in natürlicher Weise einer reinen Seele und einem reinen Herzen zu entspringen; in Wirklichkeit aber war alles bei ihr Berechnung, sie war fähig, einen ungeschickten Mann in seiner Tätigkeit zunichte zu machen, sobald sie schamlos ihren eigenen Interessen damit dienen zu können glaubte. Als er versuchte, sich an sie anzuschließen, hatte Rastignac wohl gut in ihr das geschickteste Instrument erkannt, aber er hatte sich seiner noch nicht bedient; fern davon, es handhaben zu können, ließ er sich davon bereits zerbrechen. Dieser junge Condottiere der Intelligenz, verurteilt dazu, wie Napoleon, immer zu kämpfen mit dem Bewußtsein, daß eine einzige Niederlage das Grab seines Glücks sein würde, war in seiner Beschützerin einem gefährlichen Gegner begegnet. Zum ersten Mal in seinem stürmischen Leben spielte er eine ernsthafte Partie mit einem seiner würdigen Partner. In der Eroberung der Madame d'Espard winkte ihm ein Ministerium. Deshalb diente er ihr, bevor er sich ihrer bediente: ein gefährlicher Anfang.
Das Hotel d'Espard verlangte eine zahlreiche Dienerschaft, der Aufwand der Marquise war bemerkenswert. Die großen Empfänge fanden im Erdgeschoß statt, die Marquise selbst bewohnte das erste Stockwerk ihres Hauses. Das Aussehen der reich geschmückten Treppe, die in dem vornehmen Geschmack, der einst in Versailles geherrscht hatte, geschmückten Räume sprachen von einem ungeheuren Vermögen. Als der Richter das Tor vor dem Kabriolett seines Neffen sich öffnen sah, prüfte er mit schnellem Blick die Portiersloge, den Schweizer, den Hof, die Ställe, die Verteilung der Räume, die Blumen, die die Treppe zierten, die peinliche Sauberkeit der Treppengeländer, die Wände, die Teppiche, und zählte die livrierten Diener, die beim Anschlagen der Glocke auf dem Treppenabsatz erschienen. Seine Augen, die am Tage vorher in seinem Sprechzimmer die Größe des Elends im schmutzigen Gewande des Volkes geprüft hatten, untersuchten jetzt mit der gleichen Klarheit des Blickes das Mobiliar und die Ausschmückung der Zimmer, durch die er ging, um hier das Elend der menschlichen Größe zu finden:
»Herr Popinot. Herr Bianchon.«
Die beiden Namen wurden am Eingang zum Boudoir, in dem sich die Marquise befand, einem hübschen, neu möblierten Zimmer, das nach dem Garten des Hotels hinausging, angemeldet. Madame d'Espard saß hier in einem alten Rokokofauteuil, den »Madame« in Mode gebracht hatte. Rastignac
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