Die Entmündigung (German Edition)
diese Leute, vorher in so elenden Verhältnissen, ein so großes Vermögen haben können? Eine Million bringt kaum vierzigtausend Franken Rente.«
»Der Sohn und die Mutter haben das von Herrn d'Espard hergegebene Geld ins Staatsschuldbuch eintragen lassen, als die Rente auf 60 bis 80 stand. Ich glaube, daß sie ein Einkommen von mehr als sechzigtausend Franken haben müssen. Der Sohn hat außerdem ein sehr schönes Gehalt.«
»Wenn sie sechzigtausend Franken ausgeben,« sagte der Richter, »wie hoch sind denn Ihre Ausgaben?«
»Nun,« erwiderte Madame d'Espard, »annähernd ebenso hoch.«
Der Chevalier machte eine Bewegung, die Marquise errötete, Bianchon sah Rastignac an; aber der Richter sah so harmlos aus, daß die Marquise getäuscht wurde. Der Chevalier beteiligte sich nicht weiter an der Unterhaltung, er hielt alles für verloren.
»Diese Leute, gnädige Frau«, sagte Popinot, »gehören vor ein Sondergericht.«
»Das war auch meine Ansicht,« bemerkte die Marquise entzückt. »Wären sie mit der Sittenpolizei bedroht worden, so hätten sie mit sich reden lassen.«
»Gnädige Frau,« sagte Popinot, »als Herr d'Espard Sie verließ, hat er Ihnen da nicht Vollmacht gegeben für die Anlage und die Verwaltung Ihres Vermögens?«
»Ich verstehe den Sinn dieser Fragen nicht«, sagte die Marquise schnell. »Mir scheint, daß Sie, wenn Sie den Zustand in Betracht ziehen, in den mich der Wahnsinn meines Mannes versetzt, sich mehr mit ihm als mit mir beschäftigen sollten.«
»Gnädige Frau,« sagte der Richter, »wir kommen schon noch dahin. Bevor es Ihnen oder anderen die Verwaltung des Vermögens des Herrn d'Espard, wenn er entmündigt werden sollte, anvertraut, muß das Gericht wissen, wie Sie Ihr eigenes verwalten. Hätte Ihnen Herr d'Espard Vollmacht gegeben, so hätte er Ihnen sein Vertrauen bewiesen, und das Gericht würde diese Tatsache würdigen. Haben Sie Vollmacht von ihm? Dürfen Sie Immobilien ankaufen oder verkaufen oder Geld anlegen?«
»Nein, mein Herr; es gehört nicht zu den Gewohnheiten der Blamont-Chauvry, sich mit Geschäften zu befassen«, sagte sie, stark in ihrem Adelsstolz verletzt und ihre Angelegenheit vergessend. »Mein Vermögen ist unberührt, und Herr d'Espard hat mir keine Vollmacht gegeben.«
Der Chevalier hielt sich die Hand vor die Augen, um nicht seine starke Bestürzung sehen zu lassen, die ihm die geringe Vorsicht seiner Schwägerin verursachte, welche sich mit ihren Antworten zugrunde richtete. Popinot war, trotz der Umwege seines Verhörs, gerade aufs Ziel losgegangen.
»Gnädige Frau«, sagte der Richter und wies auf den Chevalier, »der Herr ist doch jedenfalls mit Ihnen verwandt? Wir können also offen vor diesen Herren reden.«
»Reden Sie nur«, sagte die Marquise, erstaunt über diese Vorsicht.
»Also, gnädige Frau, ich gebe zu, daß Sie nur sechzigtausend Franken jährlich ausgeben, und dieser Betrag erscheint wohl angewendet, wenn man Ihre Ställe, Ihr Hotel, Ihre zahlreiche Dienerschaft und die Lebensweise in einem Hause in Rechnung zieht, dessen Luxus mir dem der Jeanrenauds überlegen zu sein scheint.«
Die Marquise machte eine zustimmende Bewegung.
»Also«, fuhr der Richter fort, »wenn Sie nur sechsundzwanzigtausend Franken Rente haben, dann müssen Sie, unter uns gesagt, an die hunderttausend Franken Schulden haben. Der Gerichtshof würde also mit Recht annehmen, daß unter den Gründen, die Sie dazu veranlassen, die Entmündigung Ihres Herrn Gemahls zu verlangen, ein persönliches Interesse steckt, ein Bedürfnis, sich Ihrer Schulden zu entledigen, wenn ... Sie ... welche ... haben. Das an mich gerichtete Gesuch hat mich für Ihre Lage interessiert, überlegen Sie es sich genau und beichten Sie mir. Es wäre noch Zeit, wenn meine Vermutungen richtig sein sollten, den Skandal eines Tadels zu vermeiden, der in den Voraussetzungen enthalten sein würde, die das Gericht in seiner Erwägung ausspräche, wenn Sie Ihre Lage nicht klar und deutlich darstellen würden. Wir sind gezwungen, die Motive der Antragsteller ebenso zu prüfen wie die Verteidigung des zu entmündigenden Mannes anzuhören und festzustellen, ob die Antragsteller nicht von der Leidenschaft verführt oder in nur allzu verbreiteter Begehrlichkeit vom geraden Wege abgekommen sind ...«
Die Marquise fühlte sich wie auf dem Rost des heiligen Laurentius.
...»Und ich muß Erklärungen in bezug auf diesen Punkt haben«, sagte der Richter.
»Ich will mit Ihnen, gnädige Frau, keine
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