Die Entmündigung (German Edition)
Besen, dem Descamps die anklagende Macht verliehen hat, ein Verbrechen zu enthüllen. Manchmal versuchte die Marquise während der Besprechung seine stillschweigende Ansicht zu vernehmen, während sie ihren Blick für einen Moment auf ihn richtete; aber so schnell diese stumme Frage war, er blieb ernst und steif wie die Statue des Kommandeurs.
Der gute Popinot saß auf der Kante seines Stuhls, dem Feuer gegenüber, seinen Hut zwischen den Beinen, und betrachtete die mit geschlagenem Gold geschmückten Kandelaber, die Uhr, die auf dem Kamin in Fülle vorhandenen Merkwürdigkeiten, den Stoff und die Verzierungen der Wandbekleidung, kurz all die hübschen, so teuren Nichtigkeiten, mit denen sich eine Frau umgibt, die in Mode ist. Er wurde aus seiner bourgeoisen Betrachtung durch Madame d'Espard gerissen, die mit ihrer Flötenstimme sagte: »Mein Herr, ich muß Ihnen millionenmal danken ...«
›Eine Million von Dank,‹ sagte der Biedermann zu sich, ›das ist zuviel, sie hat auch nicht einen für mich übrig.‹
»... für die Mühe, daß Sie sich herabgelassen haben ...«
›Herabgelassen?‹ dachte er, ›sie spottet über mich.‹
»... herabgelassen haben, eine arme Klägerin zu besuchen, die zu krank ist, um ausgehen zu können ...«
Hier schnitt der Richter der Marquise das Wort ab, indem er ihr einen forschenden Blick zuwarf, mit dem er den Gesundheitszustand der armen Klägerin prüfte. ›Es geht ihr ja ausgezeichnet!‹ sagte er sich.
»Gnädige Frau,« erwiderte er respektvoll, »Sie sind mir keinen Dank schuldig. Obgleich ein Besuch wie meiner beim Tribunal nicht üblich ist, dürfen wir uns doch keinen Schritt ersparen, um bei derartigen Angelegenheiten die Wahrheit aufzudecken. Unsere Urteile beruhen dann weniger auf dem Wortlaut des Gesetzes, als auf der Eingebung unseres Gewissens. Ob ich die Wahrheit in meinem Arbeitszimmer oder hier suche, das ist, vorausgesetzt daß ich sie finde, ganz gleich.«
Während Popinot so sprach, drückte Rastignac Bianchon die Hand, und die Marquise begrüßte den Doktor mit einer kleinen Neigung des Kopfes voll liebenswürdiger Freundlichkeit.
»Wer ist denn dieser Herr?« sagte Bianchon leise zu Rastignac und wies auf den Herrn in Schwarz.
»Der Chevalier d'Espard, der Bruder des Marquis.«
»Ihr Herr Neffe hat mir mitgeteilt«, erwiderte die Marquise Popinot, »wie stark Sie beschäftigt sind, und ich weiß bereits, daß Sie so gütig waren, eine Wohltat zu verheimlichen, um sich der Dankbarkeit Ihrer Schuldner zu entziehen. Es scheint, daß das Tribunal Sie außerordentlich ermüdet. Weshalb verdoppelt man nicht die Zahl der Richter?«
»Ach, Madame, da ist keine Not,« sagte Popinot, »das wäre nicht das Schlimmste. Aber ehe das geschieht, werden die Hühner Zähne bekommen.«
Bei diesen Worten, die so gut zu dem Gesicht des Richters paßten, sah ihm der Chevalier direkt ins Gesicht und schien sich zu sagen: ›Mit dem werden wir leicht fertig werden.‹
Die Marquise sah Rastignac an, der sich zu ihr herabneigte.
»So«, sagte er zu ihr, »sind die Leute beschaffen, die über die Interessen und das Leben der einzelnen zu entscheiden haben.«
Wie die Mehrzahl der Menschen, die in einem Beruf alt geworden sind, bewegte sich Popinot gern in den Formen, die er sich darin angeeignet hatte, das heißt in den geistigen Formen. Seine Unterhaltung schmeckte nach dem Untersuchungsrichter. Er liebte es, die Leute, mit denen er sprach, auszufragen, sie mit unerwarteten Schlüssen zu bedrängen und sie mehr sagen zu lassen, als sie verraten wollten. Pozzo di Borgo amüsierte sich damit, die Geheimnisse seiner Mitunterredner herauszubekommen, indem er sie durch die diplomatischen Fallen, die er stellte, in Verlegenheit brachte: Er entfaltete so in seiner unüberwindlichen Neigung seinen mit List gesättigten Geist. Sobald Popinot daher sozusagen das Terrain abgemessen hatte, auf dem er sich befand, war er der Meinung, daß es nötig sei, mit geschicktester, möglichst verstellter und am besten verheimlichter Schlauheit vorzugehen, wie es bei Gericht zu geschehen pflegt, wenn man die Wahrheit herausbekommen will.
Bianchon verhielt sich kühl und ernst, wie ein Mann, der sich entschieden hat, eine Qual auf sich zu nehmen und seine Schmerzen nicht laut werden zu lassen; aber innerlich wünschte er seinem Onkel die Macht, diese Frau wie eine Schlange zu zertreten: ein Vergleich, zu dem ihn das lange Kleid, die gekrümmte Haltung, der schlanke Hals, der kleine Kopf und
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