Die Entmündigung (German Edition)
dem entsprach, was meine Familie von dem Mann, der mein Gatte werden sollte, verlangte. Herr d'Espard war damals sechsundzwanzig Jahr alt, er war ein Gentleman im englischen Sinne des Wortes: sein Wesen gefiel mir, er schien viel Ehrgeiz zu besitzen, und ich liebe die Ehrgeizigen«, sagte sie und blickte Rastignac an. »Wäre Herr d'Espard nicht dieser Frau Jeanrenaud begegnet, so hätten ihn seine Anlagen, sein Wissen, seine Beziehungen nach dem damaligen Urteil seiner Freunde an die Spitze der Staatsgeschäfte gebracht; König Karl X., damals noch ›Monsieur‹, schätzte ihn hoch, und die Pairschaft, ein Hofamt, eine hohe Stellung warteten seiner. Diese Frau hat ihm den Kopf verdreht und die Zukunft einer ganzen Familie zerstört.«
»Wie waren die religiösen Anschauungen des Herrn d'Espard?«
»Er war«, sagte sie, »und ist auch jetzt noch sehr fromm.
»Sie denken nicht, daß Frau Jeanrenaud mit einem geheimen Mittel auf ihn eingewirkt hat?«
»Nein, mein Herr.«
»Sie besitzen ein schönes Hotel, gnädige Frau«, sagte Popinot abbrechend und erhob sich, während er die Hände aus den Taschen nahm, um die Schöße seines Rocks beiseite zu schieben und sich zu wärmen. »Dieses Boudoir ist sehr schön, die Stühle sind prächtig, Ihre Zimmer sind kostbar: Sie müssen sich in der Tat darüber beklagen, während Sie sich hier aufhalten, Ihre Kinder so schlecht untergebracht, gekleidet und ernährt zu wissen. Für eine Mutter kann ich mir nichts Abscheulicheres vorstellen!«
»Gewiß, mein Herr. Ich möchte den armen Kleinen einige Annehmlichkeiten verschaffen, die ihr Vater von früh bis abends an diesem beklagenswerten Werk über China arbeiten läßt.«
»Sie geben schöne Bälle, die Kinder würden sich amüsieren, aber dabei Geschmack an der Zerstreuung finden; trotzdem könnte ihr Vater sie Ihnen wohl ein- oder zweimal im Winter schicken.«
»Er bringt sie mir zu Neujahr und zu meinem Geburtstage her. An diesen Tagen erweist mir Herr d'Espard die Gefälligkeit, mit ihnen bei mir zu speisen.«
»Das ist ein sehr eigenartiges Benehmen«, sagte Popinot und sah aus, als ob er überzeugt wäre. »Haben Sie die Frau Jeanrenaud einmal gesehen?«
»Eines Tages hat mein Schwager, aus Interesse für seinen Bruder ...«
»Ach,« unterbrach der Richter die Marquise, »der Herr ist der Bruder des Herrn d'Espard?«
Der Chevalier verneigte sich, ohne ein Wort zu sagen.
»Herr d'Espard, der die Angelegenheit verfolgte, hat mich in das Oratorium geführt, wohin diese Frau zur Predigt geht, sie ist Protestantin. Ich habe sie gesehen, sie hat nichts Anziehendes, sie sieht aus wie eine Fleischerfrau; sie ist äußerst fett und hat fürchterliche Pockennarben; sie hat Hände und Füße wie ein Mann, sie schielt, kurz, sie ist ein Monstrum.«
»Unbegreiflich!« sagte der Richter und schien der harmloseste aller Richter im Königreiche zu sein. »Und diese Person wohnt hier in der Nähe, in der Rue Verte, in einem Hotel! Es gibt keine Bourgeois mehr!«
»Ein Hotel, für das ihr Sohn unsinnige Ausgaben gemacht hat.«
»Gnädige Frau,« sagte der Richter, »ich wohne im Faubourg Saint-Marceau, ich kenne diese Art Ausgaben nicht; was nennen Sie unsinnige Ausgaben?«
»Nun,« sagte die Marquise, »einen Stall, fünf Pferde, drei Wagen, eine Kalesche, ein Coupé, ein Kabriolett.«
»Das kostet so viel?« sagte Popinot erstaunt.
»Kolossal«, unterbrach ihn Rastignac. »Ein solcher Haushalt braucht für den Stall, den Unterhalt der Wagen und die Kleidung der Leute zwischen fünfzehn und sechzehntausend Franken.«
»Meinen Sie, gnädige Frau?« fragte der Richter mit erstaunter Miene.
»O ja, wenigstens«, erwiderte die Marquise.
»Und das Möblement des Hotels hat auch noch mächtig viel gekostet?«
»Mehr als hunderttausend Franken«, antwortete die Marquise, die sich nicht enthalten konnte, über die Einfalt des Richters zu lächeln.
»Die Richter,« bemerkte der gute Mann, »sind ziemlich ungläubig, sie werden sogar dafür bezahlt, daß sie es sein sollen, und ich bin solch einer. Der Herr Baron Jeanrenaud und seine Mutter hätten also, wenn sich das so verhält, in merkwürdiger Weise Herrn d'Espard beraubt. Sie haben also einen Stall, der nach Ihrer Schätzung jährlich sechzehntausend Franken kostet. Die Tafel, die Löhne der Leute, die erheblichen häuslichen Ausgaben müssen das Doppelte betragen, was jährlich einen Betrag von fünfzig- bis sechzigtausend Franken ausmachen würde. Glauben Sie, daß
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