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Die Entscheidung

Die Entscheidung

Titel: Die Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Christo
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nannte sie bei ihrem Taufnamen. Fast wäre sie zusammengezuckt. Diesen Namen aus seinem Mund zu hören war mehr als ungewohnt, sonst nannte nur Miceal sie so. Tchort sprach ihn anders aus als der Erzengel, mit stummem o und lang gezogenem i, Lennïe .
    „Ich habe ein Zeitalter auf diesen Tag gewartet, ich weiß, worauf ich mich einlasse. Du dagegen kennst die Gefahren der Unterwelt nicht, noch hast du eine Ahnung, wie du dich vor ihnen schützen kannst. Darum bitte ich dich, mir zu helfen.“
    „Zum Teufel, ich will ja helfen, aber lass mich mit dir gehen!“ Immerhin ging es um ihre Mutter.
    Er schüttelte den Kopf. „In der Hölle, mein Kind, gilt nicht, was du kannst, sondern wer du bist. Denn um Saetans Zugriff abzuwehren, darf dein Geist nicht zu brechen sein, sonst bist du verloren. Saetan ist in der Lage, die Energie der Materie zu bezwingen und sie nach seinem Willen zu formen – jede Art von Energie, auch die menschliche. Bist du nicht stark genug, übernimmt er deinen Geist, und macht ihn sich zu eigen.“ Sein Daumen strich über ihre Wange, und sie schluckte einen Kloß hinunter.
    „Um es mit dem Teufel aufzunehmen, brauchst du einen unbändigen Willen, und musst mit dir im Reinen sein. Um das von mir behaupten zu können, musste ich beinahe viertausend Jahre alt werden. Darum glaube mir, wenn ich dir sage, dass du nicht so weit bist.“
    Noch einmal küsste er ihre Stirn, und diesmal kämpfte sie wirklich gegen Tränen. Warum hatte seine Gegenwart etwas derart Tröstliches an sich und verursachte ihr gleichzeitig solche Schmerzen? Er war ein Fremder, sie kannte ihn nicht. Sie wollte sich von ihm lösen, ihn anschreien … ihm wehtun. Wie konnte er ernsthaft glauben, er könnte zur Hölle fahren, während sie dabeistand und ihm die Leiter hielt? In ihrem kurzen Leben hatte sie so ziemlich jeden Menschen verloren, der ihr lieb und teuer war, angefangen von Andrej über Wayne bis zu ihrem Dämon.
    Tchort nickte, als wäre er ihren Überlegungen gefolgt. Im nächsten Augenblick bewies er es, als er sagte: „Andrej lebt und wartet auf dich. Und Beliar …“ Die Hand um den Stockknauf verkrampfte sich. „Ich gebe es ungern zu, aber er braucht dich.“
    Den letzten Satz auszusprechen, schien ihn einige Mühe zu kosten. Wie es aussah, war er von ihrer Beziehung nicht gerade begeistert.
    „Beliar braucht niemanden, er ist auf und davon.“
    Tchorts Miene verfinsterte sich, gleichzeitig wirkte er traurig. „Er hält sich zu deinem eigenen Schutz vor dir fern, bis das Problem gelöst ist. Darum meine Frage, Kind, wirst du uns helfen?“
    Uns.
    Als sie den Mund öffnete, um zu antworten, hob er eine Hand. „Nicht jetzt, Leonie.“
    Lennïe .
    „Denke gut darüber nach. Du wirst von mir hören, dann erwarte ich deine Antwort.“
    Sein Daumen strich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr, und sie schloss die Augen, um die Tränen zurückzudrängen.
    Sie spürte seine Lippen auf ihrer Stirn, dann murmelte er leise: „Ich habe am Gare de l’Est ein Geschenk für dich. Hole es gleich ab, es wartet dort auf dich.“
    Ein Geschenk?
    Doch als ihre Lider aufflogen, war er bereits verschwunden. Sie stand allein in dem Gang, vor dem Bild des Reiters – sie waren die ganze Zeit im Kreis gegangen.
    Eine Durchsage riss sie aus ihrer Starre und verkündete, dass das Museum in zehn Minuten schloss.
    Zehn Minuten? Nach ihrem Zeitgefühl musste es bereits vor einer Stunde geschlossen haben. Sie blickte auf das Display ihres Handys und verengte die Augen. Laut Digitalanzeige waren gerade mal zwei Minuten vergangen, seit sie das Museum betreten hatte.
    Toller Trick. Kopfschüttelnd machte sie sich auf den Weg.

6
     
     
    „H ast du den Verstand verloren?“, schnappte Beliar und klappte seine Flügel ein. Er war auf dem Dach des Nordbahnhofs gelandet und schäumte vor Wut.
    „Du warst bei ihr, wage nicht, es abzustreiten.“ Ihr Duft umgab ihn wie ein Parfum.
    Tchort schüttelte missbilligend den Kopf.
    „Selbstverständlich war ich bei ihr, sie ist mein Blut.“
    „Erspare mir die Propaganda, sag mir lieber, was du von ihr willst!“
    „Wir werden sie brauchen …“
    „Einen Dreck brauchen wir!“
    Sie reagierten gleichzeitig. Tchorts Hand lag um seinen Hals und drückte ihm die Luftzufuhr ab, was erstaunlich war, da Beliar ihn normalerweise um einiges überragte. Doch Tchort war um das Dreifache seiner üblichen Körpergröße gewachsen, und hielt Beliar in die Höhe, der ebenfalls wuchs. Mit einem Fußfeger von

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