Die Entscheidung
ausmachen können, im nächsten Moment stand er vor ihm.
„Was soll das?“, knurrte der Herr des Ostens.
Beliar scannte die Gegend, unbeeindruckt vom Zorn des Schwarzen Gottes. Nachdem Tchort begriff, dass Beliar über den Grund dieses Treffens ebenso wie er im Dunkeln tappte, platzierte er sich in dessen Rücken und durchsuchte die Dunkelheit nach feindlichen Spuren.
Ein trauriges Lächeln umspielte Beliars Lippen. In den alten Zeiten standen sie oft Rücken an Rücken, während sie einem zahlenmäßig übermächtige n Gegner gegenüberstanden. Meist starben ihre Feinde. Die wenigen Male, die sie flüchten mussten, konnte Beliar an einer Hand abzählen. Getötet wurden sie nie, und wenn, hätte das kaum Auswirkung auf ihr Dasein gehabt.
Ein Rattern an der Rückseite des Bahnhofsdachs kündigte ihren Gastgeber an, der wenig elegant eine rostige Leiter emporkletterte. Warum er nicht seine Flügel benutzte, war ihm ein Rätsel. Vermutlich handelte es sich um eine selbst auferlegte Buße für Schwachsinn wie Eitelkeit oder Zorn. Zum Teufel, er war froh, diesem Verein nicht mehr anzugehören. Zumindest nicht mehr als aktives Mitglied. Ein Leben ohne Sünde war für ihn wie ein Leben ohne Salz. Fade, geschmacklos. Sinnlos. Gerade Laster machten die Würze des Ganzen aus. An Zorn gab es nichts auszusetzen, er war Feuer, Leidenschaft pur. Dabei ging es nicht um Gewalt, wie derlei Empfindungen hinterhergesagt wurde, sondern um gewaltige Emotionen. Sex war ein Ausdruck davon, kombiniert mit tieferen Gefühlen, besiegelte er gegenseitiges Vertrauen – selbst Liebe. Im Grunde war alles ein Kreislauf von Sterben und wiedergeboren werden, so wie die Jahreszeiten. Es konnte nicht immer Frühling sein, und ohne den Herbst würde nichts Neues entstehen. So gesehen machte erst der Tod das Leben möglich.
Hass war nichts anderes als das sich Abwenden von Gott, eine Erfahrung im Leben des Menschen. Wer sich für diesen Weg entschied, war nicht gezwungen, ihm bis in alle Ewigkeit zu folgen. Freier Wille und so weiter. Ständig beklagten sich die Menschen über Gott, und warum er dies geschehen ließ oder jenes Unglück nicht verhindert hatte. Dabei verstanden sie nicht, dass ihre Entscheidungen sie an diesen Punkt gebracht hatten. Die Möglichkeit, Fehler zu begehen, Verlust zu erfahren, und zu lernen, sich gegen alle Widerstände selbst zu lieben, war Gottes Geschenk an die Menschheit. Doch statt es als Amboss für ihr Glück zu nutzen, schmiedeten sie Neid und Bosheit, und schoben die Verantwortung für ihr vermurkstes Leben einem Gott in die Schuhe, der ihnen die Freiheit der Wahl geschenkt hatte.
Wer durch das Schwert lebt, wird durch das Schwert umkommen.
Er hatte Jahrhunderte gebraucht, um zu begreifen, dass ein Leben mit Gott nicht bedeutete, ein Leben voller Feenstaub und Gänseblümchen zu führen. Es ging um Erfahrungen, um Wachstum – innere Entwicklung.
Er hatte Erfahrung gesammelt, mehr, als ihm lieb war. Dabei hatte ihn die Sehnsucht getrieben, sie war der Kompass gewesen, der ihn sicher durch die Stürme des Lebens geführt hatte. Zunächst war Rache alles, woran er denken konnte, jahrzehntelang , über Jahrhunderte. Nach der Vergeltung kam die Erschöpfung, und schließlich wollte er nur noch seinen Frieden machen. Dieser Wunsch hatte ihn zu Blanche geführt, und nun ging es darum, die richtige Entscheidung zu treffen.
„Haben wir den Westen?“, begrüßte Miceal ihn, kaum dass er sie erreicht hatte.
Beliar nickte knapp. „Den Westen, den Norden und den Osten.“ Während er antwortete, blickte er zu Tchort, der bitterer denn je aussah. Er konnte ihn verstehen. Jetzt, da sie wussten, woher Saetan seine Kraft bezog, lief ihm die Zeit davon.
„Was ist mit dem Anker?“, hakte Miceal nach.
Beliars Mundwinkel hob sich träge. „Mach dir um den keine Sorgen.“
„Bleibt das Problem des Südens.“
„Der Junge kann den Part übernehmen“, meldete sich Tchort zu Wort. Miceal schüttelte den Kopf.
„Nur ein vollwertiger Dämon ist in der Lage, diese Position einzunehmen. Andrej ist ein Halbblut, und damit nicht stark genug, seine Stellung im Zirkel zu halten. Es braucht mindestens zwei Halbblüter, ein Höllentor zu schließen.“
Konnte das Portal nicht geschlossen werden, würde sich die Erde in eine sprichwörtliche Hölle verwandeln. Alles, was Rang und Namen hatte, würde übertreten und die Stadt in Schutt und Asche legen, allen voran die Liés , die gebundenen Dämonen. Jahrtausende der
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