Die Entscheidung
Hinter ihr stand ein glänzender schwarzer Apparat mit einem breiten verdunkelten ovalen Fenster. Er sah relativ neu aus, und auf einem Schild stand: SPRICH MIT DEN GEISTERN. STELL EINE JA- ODER NEIN-FRAGE. 10 CENT.
Jenny kannte diese Art von Spiel. Das Fenster leuchtete auf, und irgendein Kopf nickte oder verneinte, um einem zu antworten.
Eine eisige Kältewelle durchflutete sie, so kalt wie das Wasser in der Goldminenhöhle.
»Tu es, Michael«, flüsterte sie atemlos.
Michael wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Er sah Jenny unsicher an, dann steckte er eine Münze hinein.
Das Fenster erhellte sich. Aber da war kein Kopf – da waren zwei Köpfe mit geschlossenen Augen. Ein schauerlich blaues Licht zeigte deutlich, dass unter keinem der beiden Hälse noch etwas war. Bei ihrem Anblick stieß Audrey einen dünnen Schrei aus. Michael würgte. Dee packte erneut Jennys Hände, so fest, dass es wehtat.
»Glaubt ihr mir jetzt?«, fragte Jenny mit etwas festerer Stimme. »Sie sind hier, sie sind alle hier!«
Michael presste sich die Hand auf den Mund. Dee klammerte sich an Jenny. Audrey keuchte leise.
Keiner von ihnen antwortete Jenny, während hinter dem Fenster die Köpfe von Slug und P. C. auf und ab wippten.
Das blaue Licht beleuchtete ihre rissigen, kraftlos herabhängenden Lippen. Es war, als zögen unsichtbare Hände sie an den Haaren, um sie zum Nicken zu zwingen.
Und dabei wart ihr so harte Typen, dachte Jenny, ohne den Blick von diesen grauenhaften Gesichtern abwenden zu können. Schlimme Jungs. Einfach in mein Haus einzubrechen und das Spiel zu stehlen. Uneingeladen in die Schattenwelt zu stürmen. Jetzt seid ihr beide hier und seht alles andere als hart aus. Und …
»Summer«, wimmerte Jenny. »Wenn Summer – wenn Summer …«
»Jenny …«
»Wenn wir Summer so finden …«
Ein Klicken unterbrach sie. Dee schnappte sich die Karte, bevor Jenny sie zu fassen bekam. Sie musterte die Karte, während sie Jenny auf Abstand hielt.
»Was steht darauf?«
Langsam drehte Dee die Karte um.
SCHAUT IN DAS GRUSELKABINETT.
»Wenigstens nicht noch ein Schrank«, sagte Dee. Michael fragte: »Meint ihr, es geht um Summer?«
»Vielleicht. Oder« – Dees Gesicht entspannte sich – »es könnte auch der Hinweis auf eine Dublone sein.«
Audrey hielt sich die Augen zu. »Ich kann das nicht ertragen – macht, dass es aufhört «, wimmerte sie mit zittriger Stimme.
Die Köpfe bewegten sich langsam auf und ab und nickten wieder.
»Ich denke, das ist die Antwort«, stellte Michael fest.
»Ja, aber auf welche Frage – Summer oder eine Dublone?«
»Das ist mir egal, ich will nur weg von hier«, rief Audrey.
»Wir können nicht gehen«, sagte Jenny. »Wir können ihn nicht allein lassen, wir können nirgendwo hingehen.« Sie zog sich an der Kiste mit dem Zauberer hoch, legte eine Hand darauf und schaute durch die Scheibe. »Ich muss ihm helfen.«
»Jenny.« Dee berührte sie sanft am Ellbogen. »Es
gibt nichts, was du für ihn tun könntest.« Jenny strich schweigend über die Scheibe. »In Ordnung, was willst du für ihn tun?«, fragte Dee.
Jenny wusste es selbst nicht. Hier bei ihm bleiben – falls sie sich beherrschen konnte, nicht zu schreien. Den Schrank zertrümmern.
Aber was dann? Würde sie es ertragen, das Ding, das da drin war, zu halten, es an sich zu drücken wie eine steife, übergroße Puppe? Und wenn sie die Puppe zerbrach, würde es ihren Großvater töten? Oder wäre er in den Trümmern immer noch am Leben?
Er wäre lieber tot als in diesem Zustand, das wusste sie. Aber wie tötet man etwas, das nicht lebendig war, sondern nur gefangen?
»Oh, es tut mir so leid«, flüsterte sie und presste die Hand auf das Glas. »Es tut mir so leid, es tut mir so leid …«
Es war ihre Schuld – er hatte sich an ihrer Stelle geopfert und sich den Schattenmännern ausgeliefert.
Aber Dee hatte recht. Es gab nichts, was Jenny jetzt für ihn tun konnte.
Ihre Hände glitten am Glas hinab. »Lasst uns zum Gruselkabinett gehen.«
Auf dem Weg hinaus drehte sie sich noch einmal zu der Kiste um und schaute in die dunklen starren Augen des Zauberers. »Ich komme zurück«, murmelte sie. »Und dann werde ich dir helfen.«
Die beiden Köpfe hinter dem ovalen Fenster nickten, als sie gingen.
Und dann waren sie wieder draußen in der dunklen Nacht. Jenny wünschte, sie hätte eine Karte vom Joyland Park gehabt. Sie wusste nicht mehr genau, wohin die Wege führten.
»Das
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