Die Entscheidung der Hebamme
begehrlichen Mienen begleitete mehrdeutige Schmeicheleien, unzüchtiges Gelächter und Hände, die verstohlen auf eine Wanderschaft gingen, die sich nicht ziemte.
Angewidert rückte sie von Giselbert ab, so weit es ging, ohne dem nächsten Tischnachbarn näher zu kommen, als der Anstand gebot – Adelas Bruder Gerald, einem Ritter in Lukas’ Alter, der weitläufige Ländereien an der Mulde von seinem Vater geerbt hatte.
Zum Glück zwangen die höfischen Anstandsregeln Giselbert, allzu eindeutige Bemerkungen bei Tisch zu unterlassen. Sie selbst hielt Wort und trank nicht einen Schluck aus dem Becher, den sie sich zu teilen hatten. Dass sie kaum etwas aß, fiel nicht auf, sondern würde ihr höchstens als vollendetes Benehmen einer Dame angerechnet werden.
Sosehr sie es auch in der Nähe von Randolfs Freunden graute – sie hatte lernen müssen, sich davon nichts anmerken zu lassen, um ihnen nicht noch diesen Triumph zu gönnen.
Es kam ihr unwirklich vor, dass sich hier alles um höfische Regeln und die Schwärmereien alberner junger Mädchen drehte, die Bienen summten und Vögel sangen, während woanders längst Krieg toben mochte, Menschen erschlagen, erstochen, erschossen und zerstückelt oder dem Hungertod ausgeliefert wurden. Nicht zum ersten Mal sprach sie ein stilles Gebet für Christian, Dietrich und die Männer, die sie nach Goslar begleitet hatten.
Um nicht sehen zu müssen, wie Giselbert vor Wohlbehagen schnaufend und schmatzend an einer Wildschweinkeule herumkaute, wobei ihm das Fett übers Kinn lief, richtete Marthe ihren Blick unauffällig auf Cäcilia, die neben Ekkehart am äußeren Ende von Ottos Tafel saß.
Sie hatte nicht wieder mit ihr gesprochen seit jener heimli-chen Begegnung auf dem Meißner Burgberg vor knapp einem Jahr, sondern sie nur verstohlen von weitem gemustert, seit Ekkehart sie auf die Reise nach Gelnhausen mitgenommen hatte.
Cäcilia schien ein Stück gewachsen zu sein, ihre Formen waren eine Spur fraulicher geworden, aber alles in allem sah sie immer noch aus wie ein Kind, unglücklich und verängstigt wie damals.
Das hellblonde Haar unter dem Schleier hatte seit jeher die Haut der zarten jungen Frau noch blasser wirken lassen, doch jetzt sah sie geradezu totenbleich aus.
Während der Reise hatte Marthe zu befürchten begonnen, dass Cäcilia schwanger sein könnte, doch Ekkeharts Frau ging ihr geflissentlich aus dem Weg, so dass sie sie nicht danach fragen konnte. Auch wenn fast ein Jahr vergangen war seit ihrem Gespräch, hielt sie Cäcilia immer noch für zu jung, um ein Kind zu gebären. Doch wenn sie zusah, mit wie viel Überwindung sie an dem winzigen Stück Fleisch herumkaute, das ihr Ekkehart mit strenger Miene zugewiesen hatte, verstärkte sich ihr Verdacht.
Cäcilia schluckte, schien den Bissen wieder hochzuwürgen, dann zuckte sie auf einmal zusammen, krümmte sich und umklammerte mit den Armen ihren Leib.
Seiner Miene nach schien Ekkehart sie streng zurechtzuweisen, doch Cäcilia schüttelte nur mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kopf und krümmte sich noch mehr.
Eine Fehlgeburt!, dachte Marthe erschrocken und zauderte: Sollte sie aufspringen und zu Cäcilia laufen, um ihr zu helfen? Niemand durfte die Tafel vor dem Markgrafen verlassen, schon gar nicht wegen solch einer delikaten Angelegenheit! Der Skandal wäre perfekt. In Gedanken verwünschte Marthe dem Umstand, dass die Männer zwar Erben haben wollten, aber alles, was mit Schwangerschaft und Geburt zusammenhing, für höchst anrüchig hielten. Begriff Ekkehart nicht, was seiner Frau widerfuhr?
Offenkundig nicht, denn statt Hilfe herbeizurufen oder Otto wenigstens um Erlaubnis zu bitten, dass er und seine kranke Gemahlin sich entfernen durften, zischte er Cäcilia etwas ins Ohr, das recht unritterlich nach einem harten Verweis aussah.
Bei Gott, jetzt reicht es!, dachte Marthe und stemmte sich hoch. Sieht denn keiner, dass sie Hilfe braucht?
Doch noch bevor sie entrüstete Blicke auf sich zog, geriet Cäcilia vollends in den Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit. Mit einem qualvollen Stöhnen kippte die junge Frau von ihrem Platz und krümmte sich im Gras zusammen.
Niemand wunderte sich, dass Marthe so schnell bei ihr war, und es nahm auch niemand Anstoß. Im Gegenteil, die meisten Anwesenden schienen froh zu sein, dass auf Marthes Anweisung hin Cäcilia unverzüglich in das Zelt getragen wurde, das für den Befehlshaber der Wachen aufgestellt worden war, und damit der Anlass des Aufruhrs aus
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