Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
»Man kann sich nicht gleichzeitig von zwei verschiedenen Händen füttern lassen.«
Er ließ sich aufs Bett fallen, seine Hände grapschten nach ihr, doch sie entwand sich dem Griff. »Ich meine es ernst, Lorentz.«
»Bisher lasse ich mich nur von einer Hand füttern, wie du es nennst. Also, Schluss damit. Komm her zu mir. Ich brauch ein bisschen Liebe.«
»Diese Männer sind gefährlich.«
Diesmal ließ sie sich von ihm umarmen. Er streifte den Stoff von ihren Schultern und entblößte farblose Haut.
Bernina wandte das Gesicht ab – ihr Ohr jedoch blieb an der schmalen Ritze, die Tür und Rahmen boten.
»Lass dich nicht mit denen ein«, warnte Alwine erneut.
»Schluss damit«, wiederholte Fronwieser. »Ich weiß, was ich tue.«
Das Rascheln von Stoff – allerdings nicht aufgrund des Liebesspiels. Bernina spähte von Neuem ins Zimmer: Alwine hatte sich abermals von Fronwiesers Händen befreit. Sie stand neben dem Bett am Fenster und starrte nach draußen. »Ich habe Angst«, sagte sie leise. Sie klang wie ein kleines Mädchen, aber Bernina erinnerte sich sehr deutlich an die Kälte, die diese Frau ausstrahlen konnte.
»Angst? Wovor denn?« Er knirschte mit den Zähnen und warf den Kopf nach hinten in ein schmutziges Kissen.
»Natürlich vor der Schlacht! Aber auch vor diesen Männern!«, entgegnete sie plötzlich laut und eindringlich. »Wie oft soll ich es noch sagen? Von Mollenhauer allein ist für mich gefährlich genug. Manchmal redet er wie ein Engel, aber in ihm steckt der Satan. Sie jedoch sind noch gemeiner, rücksichtsloser, hinterhältiger.«
»Ach, gefährlich sind sie alle. Das bin ich ebenfalls. Man muss einfach seine verfluchten Augen offen halten. Und das tue ich.«
»Was hast du vor?«
Er schnaufte, griff erneut nach der Flasche und trank. »Als Nächstes will ich an das Geld kommen, das von Mollenhauer in Aussicht gestellt hat, wenn wir ein wenig auf unsere hochwohlgeborenen Gäste aufpassen. Und dann hole ich mir noch mehr Geld von dem alten Spinner.«
»Du bist zu sorglos.«
»Jetzt bin ich vor allem müde«, nuschelte Fronwieser.
»Auch die Frau und der hässliche Gnom können dir gefährlich werden«, ging Alwine nicht darauf ein. »Sie hassen dich und wollen dich hinter Gittern sehen. Oder vor dem Scharfrichter.«
»Wenn es zur Schlacht kommt, kümmert es ganz sicher niemanden, was ich getan habe. Dann haben die hohen Herren andere Sorgen. Und Freiburg wird von Blut überschwemmt.«
»Gerade deswegen predige ich doch seit Tagen, dass wir verschwinden sollen.«
»Das werden wir auch. Vorher allerdings streichen wir noch einen hübschen Batzen Geld ein.«
Verärgert schnalzte sie mit der Zunge. »Das ist ein Spiel mit verdammt hohem Wagnis. Von Mollenhauer wird dich erst bezahlen, wenn die Schlacht vorüber und Ruhe eingekehrt ist. Vorausgesetzt, wir leben überhaupt noch.« Ihre Worte wurden flehender. »Lorentz! Vergiss doch das Geld. Lass uns abhauen, solange wir noch ein bisschen Zeit dafür haben. Wir hätten nicht im Grünen Horn trinken, sondern endlich unsere Flucht vorbereiten sollen.«
»Vorher will ich auf jeden Fall noch ein Geschäft erledigen.«
Alwine drehte sich zu ihm herum. Sie musterte ihn, wie er da auf dem Bett lag, das gesunde Bein lang ausgestreckt, eine Hand im Nacken. »Mit wem?«
»Mit niemandem.«
»Mit diesen Männern, die du nicht kennst. Über die du nicht das Geringste weißt. Ich habe recht, oder?«
Er schwieg.
»Sie werden dich hintergehen. Wenn du erledigt hast, was sie von dir wollen, jagen sie dir einen Dolch in den Rücken.«
»Ich bin schlauer als sie.« Fronwieser schien zu überlegen. »Und ich werde noch einmal mit von Mollenhauer reden. Er muss uns im Voraus bezahlen, jedenfalls einen Teil. Ich hätte mich nicht so schnell abspeisen lassen sollen. Aber das werde ich wiedergutmachen.« Er sah sie an. »Und nun leg dich hin. Lass uns ein wenig schlafen.«
Die Stimmen verstummten, Schnarchen setzte ein. Bernina zog sich auf die alten löchrigen Decken zurück und starrte ins Nichts. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, seit sie zuletzt einen Tropfen Flüssigkeit zu sich genommen hatte. Ihr Hals war trocken und rau. Ihr Magen krampfte sich vor Leere zusammen, auch wenn sie das Gefühl hatte, niemals mehr einen Bissen herunterzubekommen. Sie dachte an Baldus. Ihm erging es gewiss ähnlich schlecht wie ihr. Sie dachte auch an Helene. Wo mochte ihre Freundin stecken? War sie mittlerweile in Freiburg angekommen? Und vor allem dachte
Weitere Kostenlose Bücher