Die Entscheidung
mussten. Siebzig Jahre. Und dabei sah Darrek so aus, als wäre er höchstens fünf Jahre älter als sie. Als Kind hatte sie nie sonderlich darüber nachgedacht, aber die Zeit bei den Menschen hatte ihre Sichtweise stark verändert. Sie sah die Unsterblichkeit nicht mehr als Selbstverständlichkeit an. Und Laney vermutete, dass der Besuch bei den Outlaws ihre Lebenseinstellung noch weiter verändern würde.
„Wie werden die Warmblüter in dem Dorf eigentlich auf unseren Besuch reagieren?“, fragte Laney, während sie einen Stein aus dem Weg kickte. „Glaubst du, dass sich dort noch jemand an dich erinnert?“
„Ich bin mir nicht sicher“, gab Darrek zu. „Einige, die damals noch jung waren, werden mich sicherlich noch erkennen. Aber ich vermute, dass die meisten meiner Bekannten längst tot sind. Du musst bedenken, dass ich vor siebzig Jahren nur kurz hier war. Dass ich hier gelebt habe, ist noch einige Jahre mehr her.“
„Ach ja? Und warum bist du zwischendurch noch mal hergekommen?“
Darrek warf Laney einen abschätzenden Blick zu, als wüsste er nicht genau, wie viel er ihr sagen sollte.
„Ich war auf einer Beerdigung“, erklärte er dann. „Von jemandem … der mir nahe stand.“
Laney biss sich auf die Zunge, um nicht weiter nachzufragen. Sie war neugierig, aber es war eindeutig, dass er zu dem Thema nicht mehr sagen würde. Es frustrierte sie, dass sie ihm alles aus der Nase ziehen musste. Aber ihn zu bedrängen würde ihr nichts als Probleme einbringen. Sie würde sich einfach noch ein bisschen gedulden müssen.
„Der Rat hat entschieden“, verkündete Haldor.
Er war der Schmied des Dorfes und ein wichtiges Mitglied der Gesellschaft. Er war kein schöner Mann, strahlte aber eine Präsenz der Macht aus, weswegen er von den Dorfmitgliedern immer wieder in den Rat gewählt wurde.
Haldor sah von Swana zu Einar und wieder zurück. Johanna atmete tief ein und wieder aus. Als Dorfälteste war auch sie Mitglied des Rats. Außer ihr und Haldor gab es noch zwei weitere, die gewählt wurden, und einen, der per Los unter allen Bewohnern über sechzehn ausgewählt worden war. In diesem Falle handelte es sich dabei um Maelle.
Johanna hatte sich bei der Verurteilung ihrer Urenkel sehr zurückgehalten. Sie wollte nicht, dass man ihr später vorwerfen konnte, befangen zu sein. Die Ratsmitglieder waren alle sehr kompetent und durchaus dazu imstande, auch ohne sie ein faires Urteil zu fällen. Und genau das hatten sie getan. Johanna sah, wie Swana ängstlich ihr Baby an sich drückte, und lächelte ihrer Urenkelin aufmunternd zu. Niemand würde ihr Mady wieder wegnehmen. Und ohnehin ging es nicht darum, über Swanas Schicksal zu entscheiden, sondern über das ihres Bruders. Er hatte eigenmächtig gehandelt und damit das gesamte Dorf in Gefahr gebracht. So etwas konnte und wollte der Rat nicht dulden. Viktoria war zwar die Hauptinitiatorin gewesen, aber da man davon ausgehen musste, dass sie bereits tot war, wäre es sinnlos, sie für ihr Verbrechen zu verurteilen. Auch Einar hatte durch den Verlust seiner Mutter an sich schon genug zu leiden. Aber der Rat war der Meinung, dass ein Exempel statuiert werden musste. Einars Strafe war milde. Aber er durfte nicht einfach so davonkommen.
„Erhebe dich, Einar“, forderte Haldor und der junge Mann gehorchte sofort. „Du hast entgegen des Gesetzes deiner Mutter dabei geholfen, dem Dämon sein rechtmäßiges Opfer vorzuenthalten. Viktoria Annasdottir mag zwar besondere Gründe für ihr Handeln gehabt haben, aber die Endsituation ist dennoch die gleiche. Der Dämon ist erzürnt. Und um ihn zu besänftigen, verurteilen wir dich zu zehn Peitschenhieben auf dem Opferstein.“
Einar zuckte nicht einmal mit der Wimper. Zehn Schläge waren wirklich nicht viel. Es würde zwar Blut fließen, aber bei Weitem nicht genug, um ihn lange Zeit außer Gefecht zu setzen. Dennoch hob Swana zögernd die Hand.
„Kann ich nicht …“, begann sie.
„Auf keinen Fall“, schnitt Einar ihr sofort das Wort ab. „Dich trifft in diesem Falle keine Schuld, Systir. Du wirst mir keinen einzigen dieser Schläge abnehmen, hörst du?“
Swana verstummte und drückte dann Mady wieder näher an sich. Einar hatte natürlich recht. Sie hatte sich nicht falsch verhalten. Während der gesamten Aktion hatte sie geschlafen und erst später davon erfahren, was geschehen war. Und Einar war problemlos dazu imstande, die Schläge einzustecken. Es gab keinerlei Grund für sie, die Strafe mit ihm zu
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