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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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äußerst besorgniserregend. Auch schienen die Aussichten des europäischen Krieges wieder dunkel und fragwürdig. Das desaströse Vorkommnis von Bari war eben bekannt geworden. Winston Churchill lag in Ägypten mit seiner zweiten Lungenentzündung.
    Ich hatte die Umgestaltungen am VIII. Kapitel wieder begonnen, gab ihm eine neue Schlußfassung, war eines Tages der Meinung, es endgültig in Ordnung gebracht zu haben, schrieb weiter an dem schon begonnenen IX. und kehrte dann doch zu abermaligen Verbesserungen zum vorigen zurück. Mein ästhetisches Gewissen gelangte mit diesem fatalen Stück nie wirklich zum Frieden. Noch viel später schrieb ich das Schlußgespräch wieder um. Ende des Jahres stand ich inmitten des folgenden. »An IX versucht und gestrichen. Kompositionszweifel. Zu ändern. Thematisches erinnert … Rasantes Bombardement von Berlin … In Schönbergs Harmonielehre … Deutsche Sendung zu schreiben begonnen … Die Post brachte überraschende Order zur Einbürgerungsprüfung … Gelesen in ›Lessons in Citizenship‹.« – Am 31. Dezember: »Vereinigen uns in dem Herzenswunsch, daß im kommenden wilden Jahr kein Sohn uns verlorengehen möge. An seinem ersten Tag sollen die Bemühungen um den vielleicht nicht möglichen Roman wiederaufgenommen werden. Möge es etwas Würdiges daraus machen!«
    {458} 1944 war erst wenige Tage alt, als ein denkwürdiger Brief von Werfel eintraf, auf seinem Krankenlager – es mochte sein Sterbebett sein – diktiert, über
Buddenbrooks
, die er in drei Tagen wiedergelesen, und die er mit feierlichem Nachdruck ein »unsterbliches Meisterwerk« nannte. Obgleich das Jugendwerk nun so lange schon, fast ein halbes Jahrhundert lang, sein eigenes, von mir abgelöstes Leben führte und ich es kaum noch als mir zugehörig empfand, war ich tief betroffen von dieser Botschaft, die mich unter so eigentümlichen Umständen erreichte. Mein gegenwärtiges dichterisches Anliegen war ja etwas wie eine späte Rück- und Heimkehr in die deutsch-altstädtische und musikalische Sphäre jenes Erstlingsromans, und daß dieser ein so ganz und gar künstlerisches Gemüt wie das Werfels gerade jetzt wieder so sehr hatte gefangennehmen können, mußte mir merkwürdig und ergreifend sein. Im übrigen waren die Betrachtungen, die ich an den Brief knüpfte, fern von Übermut. »Ich sinne darüber«, schrieb ich, »ob es nicht dies Buch sein mag unter all den Meinen, dem bestimmt ist, zu bleiben. Vielleicht war damit meine ›Sendung‹ erfüllt und es war nur noch mein Teil, ein nachfolgendes langes Leben leidlich würdig und interessant zu erfüllen. Ich will die Lebensentfaltung nach dem Jugendwurf, durch
Zauberberg, Joseph, Lotte
, nicht undankbar verkleinern. Aber es könnte ein Fall sein wie mit dem
Freischütz
, – nach welchem noch allerlei sogar bessere, höhere Musik kam, und der doch allein im Volke lebendig geblieben ist. Immerhin,
Oberon
und
Euryanthe
sind noch im Repertoire …« – Ich war einige Tage später bei Werfel, der sehr schlecht aussah, aber sofort begann, die begeisterten Wendungen seines Briefes mündlich zu variieren. Ich stand am Fußende seines Bettes, neben dem der Sauerstoffapparat aufgebaut war, und, die Augen auf mich gerichtet, beteuerte er, fast unglaubwürdig sei es ihm, den Verfasser von
Buddenbrooks
so empirisch vor sich zu sehen …
    {459} Wie charakteristisch für ihn war die Kindlichkeit dieses Enthusiasmus! Ich habe Franz Werfel immer sehr gern gehabt, den oft begnadeten Lyriker in ihm bewundert und sein immer interessantes Erzählwerk, obgleich es zuweilen künstlerische Selbstkontrolle vermissen läßt, im Herzen hochgehalten. Das intellektuell nicht ganz reinliche Spiel mit dem Wunder in
Bernadette
war mir bedenklich, aber ich konnte seinem naiven und reich talentierten Künstlertum die mystischen Neigungen, die es mehr und mehr entwickelte, das Liebäugeln mit Rom, die fromme Schwäche fürs Kirchlich-Vatikanische nie übelnehmen, es sei denn in den unglücklichen Augenblicken, wo dies alles aggressiv-polemisch vorstieß. Er war im Grunde ein Opernmensch und konnte auch aussehen wie ein Opernsänger (der er einmal zu werden gewünscht hatte), freilich zugleich wie ein katholischer Geistlicher. Die Versuchung zur Konversion hat er standhaft abgelehnt mit der Begründung, es zieme ihm nicht, zu einer Zeit jüdischen Martyriums sein Judentum zu verleugnen. Wie er von seiner zweiten Herzattacke noch einmal »kümmerlich genas«, um, meistens

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