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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Rezitationen, Vorlesungen geschulter Sprecher, die dennoch mit gewissen Unbilden der Akustik nicht fertig wurden, und die das entfernter sitzende Publikum mit dem schrecklichen Zuruf »Lauter!« verärgerte. Lose Szenen sodann, allzu lose, aus dem reizenden Lustspiel
Sturm im Wasserglas.
Ich sprach zuletzt, vor dem pianistischen Abschluß, – angestrengt, erschöpft und von Herzen. Es sei ergreifend,
zu
ergreifend gewesen, urteilte Heinrich. Am Telephon, nächsten Tages, meinte Liesl Frank, man sollte mir so etwas, wie das Gestrige, gar nicht zumuten, ich gäbe zuviel her dabei, es müsse das letzte Mal gewesen sein. – Aber wenn es nun auch zu einer Franz Werfel-Feier kam?
    Ich stand in Kapitel XXXI, das das Ende des Krieges, die Figuren der »dienenden Frauen« und die Wendung Adrians zur Puppen-Oper bringt, und »las abends lange in den
Gesta Romanorum
. Die schönste und überraschendste der Geschichten ist die von der Geburt des Heiligen Papstes Gregor. Die Erwählung, verdient durch die Entstehung aus Geschwister-Verkehr und durch Blutschande mit der Mutter, – was alles freilich durch eine siebzehnjährige unglaubliche Askese auf dem wilden Stein abgebüßt wird. Extreme Sündhaftigkeit, extreme Buße, nur diese Abfolge schafft Heiligkeit«. – Ich wußte nichts von den vielfachen Erscheinungsformen der Legende, hatte besonders von Hartmann von Aues mittelhochdeutschem Gedicht kaum gehört. Aber sie gefiel mir so gut, daß ich gleich damals mit dem Gedanken umging, den Stoff meinem Helden eines Tages wegzunehmen und selbst einen kleinen archaischen Roman daraus zu machen.
    {517} Am 9. November wurde das XXXII., mit dem beklemmenden Gespräch zwischen Ines und Zeitblom, in Angriff genommen und zwanzig Tage später abgeschlossen. Vorbereitungen zum nächsten, das wieder mit der »doppelten Zeit« arbeiten, das Motiv der kleinen Seejungfrau ausführen und Schwerdtfegers elbische Flirtnatur recht zu Gemüte führen wollte, begannen sogleich. Aber mein Gesundheitszustand, verstärkter Schnupfen und Husten, Angegriffenheit von dem Dauer-Katarrh und schlechtes Aussehen, führte wieder einmal eine Konsultation des Doktors herbei, deren Ergebnis dem eigenen Gefühl entsprach: Weitere Gewichtsabnahme, Verschleimung der Bronchien, zu niedriger Blutdruck wurden festgestellt, Rezepte zur Unterstützung der Ernährung ausgeschrieben. Zurück zum Roman also, ausgerüstet mit dicken roten Vitamin-Kapseln, die dreimal täglich zu schlucken mir höchst beschwerlich war. Mit dem Dezember begann die Ausarbeitung von XXXIII, getrösteten Mutes, da ja nichts Ernstes vorlag und mein Herz sich wieder einmal als kerngesund erwiesen hatte. Es traf sich nur schlecht, daß gerade jetzt, wo die am schwersten zu lösende Aufgabe mir täglich näher auf den Leib rückte: die überzeugende, die wirklichkeitsgenaue, Wirklichkeit wahrhaft vortäuschende Beschreibung von Leverkühns apokalyptischem Oratorium, die nicht anders als in einer Serie von drei Kapiteln zu bewerkstelligen war, da mir gleich feststand, daß ich die Analyse des schlimmen Endwerkes mit der Darstellung unheimlich verwandter Zeiterlebnisse des guten Serenus (den erzfaschistischen Unterhaltungen bei Kridwiß) verschränken wollte, – es traf sich schlecht, daß gerade jetzt dieser ewige Luftröhren- und Bronchialkatarrh mir so reduzierend, manchmal bis zur Hinfälligkeit, zusetzte. Es traf sich auch nicht sehr gut, daß persönlicher Einsatz bei mehreren öffentlichen Kundgebungen wiederholt unumgänglich war: in Royce Hall, West {518} wood, lieferte ich in Gegenwart von Delegierten des russischen Konsulats ein Arrangement des
Dostojewsky-Aufsatzes
als Vortrag, an dem zu meiner Freude der ebenfalls anwesende Klemperer besonderen Anteil nahm. Und bei einem Dinner des Independent Citizen Committee, zu dem die Professoren Shapley und Dykstra, Mrs. Douglas-Gahagen vom House of Representatives und Oberst Carlsson gehörten, hatte ich als Tischredner mitzuwirken. Den Höhepunkt des Abends bildete die Rede des liberalen (unterdessen als General verabschiedeten) Colonels, der mit imponierendem Mut den Mißbrauch unserer Truppen in China geißelte, wo sie nichts – und umso weniger etwas zu suchen hätten, als der einzige Teil des Landes, in dem einige Ordnung herrsche, der kommunistisch organisierte sei … Wie anders nun wieder, und in ihrer Art interessant genug, die abendlichen Empfänge beim hohenzollernblütigen Grafen Ostheim, zu denen wir dann und wann geladen

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