Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
waren, – dem wegen Antimilitarismus und anderer disqualifizierender Gesinnungen frühzeitig ausgeschalteten Weimarischen Thronfolger, und seiner amerikanischen Frau. Man fand dort eine internationale Gesellschaft, kunterbunt und elegant, und hörte adelige weißrussische Emigranten behaupten, sie seien von Auslieferungsforderungen der Stalin-Regierung bedroht. Das mochte wahr sein, – obgleich mir zu glauben schwer fiel, daß man in Moskau diese Herrschaften als gefährlich betrachtete. Aber wie kamen sie nun eigentlich in den Salon des »Roten Prinzen«? Das mußte man verstehen. Das Exil schafft eine gemeinsame Daseinsform, und die Verschiedenartigkeit seiner Ursachen macht wenig Unterschied. Der Röte wegen oder von wegen des Gegenteils – Schicksalsgemeinschaft und Klassensolidarität sind entscheidender als solche Gesinnungsnuancen, und man findet einander.
    »Am Kapitel weiter.« »Einiges am Kapitel.« »An XXXIII gegen {519} das Ende.« Den 27. Dezember: »Schloß XXXIII ab. – Vorlesung. – Vielleicht bin ich doch, aus Müdigkeit, gegen das Ganze zu kritisch. Las die Apokalypse, ergriffen von diesem Wort: ›Du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort behalten und hast meinen Namen nicht verleugnet.‹«

XII
    Schon Anfang Dezember hatte ich den Entschluß gefaßt und ausgeführt, Adorno alles bisher vom
Faustus
Geschriebene und in Maschinenabschrift Vorliegende zu übergeben, um ihm volle ideelle Einsicht zu bieten, ihn recht mit meinen Absichten bekannt zu machen und ihn dafür zu stimmen, mir beim musikalisch Bevorstehenden imaginativ zur Hand zu gehen. Gegen Ende des Jahres dann schrieb ich ihm, anstelle der Morgenarbeit, einen kommentierenden Brief von zehn Seiten, worin ich vor allem meine »bedenklich-unbedenklichen« Griffe in seine Musik-Philosophie so gut es ging entschuldigte: sie seien, schrieb ich, in dem Vertrauen geschehen, daß das Ergriffene, Abgelernte sehr wohl innerhalb der Komposition eine selbständige Funktion, ein symbolisches Eigenleben gewinnen könne und dabei an seinem ursprünglichen kritischen Ort unberührt bestehen bleibe. Ich setzte ihm ferner auseinander, wie sehr meine »initiierte Ignoranz« für das Bevorstehende der Versorgung mit fachlichen Exaktheiten bedürfe. »Der Roman«, schrieb ich, »ist so weit vorgetrieben, daß Leverkühn, fünfunddreißigjährig, unter einer ersten Welle euphorischer Inspiration, sein Hauptwerk, oder sein erstes Hauptwerk, die ›Apocalipsis cum figuris‹ nach den fünfzehn Blättern von Dürer oder auch direkt nach dem Text der Offenbarung in unheimlich kurzer Zeit komponiert. Hier will ein Werk (das ich mir als ein sehr ›deutsches‹ Produkt, als Oratorium, mit Orchester, Chören, Soli, einem Erzähler denke) mit einiger Suggestivkraft {520} imaginiert, realisiert, gekennzeichnet sein, und ich schreibe diesen Brief eigentlich, um bei der Sache zu bleiben, an die ich mich noch nicht recht herantraue. Was ich brauche, sind ein paar charakterisierende, realisierende Einzel-Genauigkeiten (man kommt mit wenigen aus), die dem Leser ein plausibles, ja überzeugendes Bild geben. Wollen Sie mit mir darüber nachdenken, wie das Werk – ich meine Leverkühns Werk – ungefähr ins Werk zu setzen wäre; wie Sie es machen würden, wenn Sie im Pakt mit dem Teufel wären; mir ein oder das andere musikalische Merkmal zur Förderung der Illusion an die Hand geben? – Mir schwebt etwas Satanisch-Religiöses, Dämonisch-Frommes, zugleich streng Gebundenes und verbrecherisch Wirkendes, oft die Kunst Verhöhnendes vor, auch etwas aufs Primitiv-Elementare Zurückgehendes (die Kretzschmar-Beißel-Erinnerung), die Takteinteilung, ja die Tonordnung Aufgebendes (Posaunen-Glissandi); ferner etwas praktisch kaum Exekutierbares: alte Kirchentonarten, A-cappella-Chöre, die in untemperierter Stimmung gesungen werden müssen, so daß kaum ein Ton oder Intervall auf dem Klavier überhaupt vorkommt – etc. Aber ›etc.‹ ist leicht gesagt …«
    Dies, mit den Chören in untemperierter Stimmung, war eine närrisch fixe Idee von mir, an der ich lange hartnäckig festhielt, obgleich der Angerufene nichts davon wissen wollte. Ich war so verliebt in die Vorstellung, daß ich sogar hinter Adornos Rücken Schönberg darüber zu Rate zog, der mir antwortete: »Ich würde es nicht machen. Aber möglich ist es theoretisch durchaus.« Trotz dieser Ermächtigung von ganz Oben ließ ich den Gedanken schließlich fallen, wie auch das Aufgeben der Takteinteilung,

Weitere Kostenlose Bücher