Die Entstehung des Doktor Faustus
größer sein kann als sie selbst, und daß dies die Situation des Wunders, des Liebesopfers, der Selbstzerstörung ist »durch Glorifikation«. Die moralische Poesie des Gedankens (wenn man es einen Gedanken nennen kann) hatte mich damals eigentümlich tief berührt, und Werfel hat mir gesagt, daß er seinetwegen dies Kapitel für mich ausgesucht habe. Etwas von seiner Transzendenz fand ich wieder in dem ganzen gleichsam schon nach dem Tode des Dichters, bei vernichtetem Herzen, geschriebenen, durchaus spiritistisch wirkenden Werk, dessen Kühnheit dem Leben nicht mehr recht angehört, und das man künstlerisch nicht glücklich nennen kann. Zeichnung, Rede, Seelenleben dieser Hunderttausende von Jahren nach uns auf der sowohl übervergeistigten wie übertechnisierten Erde lebenden Menschen haben {526} etwas – ich wiederhole das Wort – spiritistisch Leeres und Hohles, und manche ganz unausdenkbaren Erfindungen zur Kennzeichnung dieses unendlich fernen Erdenlebens, zum Beispiel die Lichtreklame mit Sternen oder daß man sich zu einem Reiseziel nicht mehr hinbewege, sondern es durch ein Instrument, auf technisch-spirituellem Wege, heranholt, erinnern an Traumeinfälle, die während des Traumes sehr gut und brauchbar erscheinen, sich aber beim Erwachen als krauser Unsinn erweisen. Hier scheint es kein Erwachen zur Kritik mehr gegeben zu haben, und wäre nicht einige Komik mit untergebracht, wie die falsch-treuherzige Redeweise der Hunde, die immer »nit« statt »nicht« sagen, so läge die Gefahr gelangweilten Sich-abwendens vom nicht mehr Lebendigen nahe. Dennoch finden sich absolut großartige, absolut bannende Intuitionen in diesem übergewagten Erzählwerk des Todes, Inkommensurabilitäten, Neuigkeiten, Erzeugnisse einer schon abwegigen und eben darum genialischen Einbildungskraft. Die skurril-ängstigenden Szenen und Geschehnisse in der Unterwelt, im inneren Hohlraum der Erde mit ihrer dumpf-albtraumhaften Atmosphäre, sind als Phantasieleistung unübertroffen in aller Literatur, und das sonderlich Anziehende, Anregende und Bedeutende des Werkes für mich bestand gerade in seinen geheimen Beziehungen zur Weltliteratur, in der Tatsache, daß es auf seine ausschweifende Art eine Tradition fortführt, und zwar in seiner ausdrücklichen Eigenschaft als »Reiseroman«. Als solcher erinnert es und erinnert es sich an Defoe sowohl wie an Swift wie an Dante, an diesen am absichtlichsten, wenn auch nicht am glücklichsten, denn zum Unterschied von ihm, immerhin, hat es keine rechte Sprache. – Ich las das Buch zweimal, das zweite Mal »mit dem Bleistift« und ging mit dem Gedanken um, einen Vortrag darüber zu halten. Dazu ist es nicht gekommen.
{527} Am 2. Februar konzertierte Hubermann in der Philharmonie von Los Angeles. Wir scheuten nicht die lange Fahrt und hörten von dem häßlichen kleinen Hexenmeister, der soviel von der Faszinationskraft des dämonischen Fiedlers besaß, Beethoven, Bach (eine Chaconne, bei der er eigentümliche Orgelwirkungen seiner Geige abgewann), eine liebenswerte Sonate von César Frank und zigeunerhafte Zugaben. Wir waren bei ihm im Gedränge des Künstlerzimmers nachher. Er jubelte, als er uns sah. Bekanntschaft und Sympathie waren alt und in München, Salzburg, Zürich, dem Haag (wo wir beim deutschen Botschafter zusammen wohnten) und New York immer erneuert worden. Am 5. war er bei uns zum Essen und lud uns in sein Landhaus über Vevey ein, wenn wir, wie geplant, nach Europa kämen. Er war tot, als wir die Schweiz wiedersahen. –
Ein anderer gedenkenswerter Besuch war der des kanadischen Meisterphotographen Karsh, desselben, der das berühmte Bildnis Churchills mit dem grimmig sinnenden Lächeln hergestellt hat. Dieser hatte ihm fünf Minuten gewährt, und er rühmte sich, ihm für diese Frist die Zigarre weggenommen zu haben. Bei mir mochte er gemächlicher vorgehen. Mit großem Apparat, der wiederholt Kurzschluß verursachte, arbeitete er beinahe zwei Stunden lang mit mir an einer Serie von Aufnahmen, von denen einige an glücklich abgefangener »Ähnlichkeit« und plastischer Lichtwirkung wirklich das Vollendetste darstellen, was ich nicht nur von eigenen Bildern, sondern überhaupt je gesehen habe. Nur schade, daß ich gerade damals als Modell in so schlechter Form war und die sonst unvergleichlichen Portraits eine Bläßlichkeit der Züge und spitzige »Vergeistigung« zeigen, die wenig Authentisches hat.
Photographische Experimente eindringlicherer Art,
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