Die Entstehung des Doktor Faustus
auch, warum. Es stimmte auf eine gewisse Art mit meiner eigenen und, wie ich herausbekommen hatte, gar nicht nur individuellen, wachsenden Neigung überein, alles Leben als Kulturprodukt und in Gestalt mythischer Klischees zu sehen und das Zitat der »selbständigen« Erfindung vorzuziehen. Der
Faustus
zeigt davon so manche Spur.
Zu den musikalischen Weisungen und Anregungen für Leverkühns Opus war Adorno an jenem Tage nicht bereit, versicherte aber, daß die Sache ihn angelegentlich beschäftige, daß er schon allerlei Ideen bei sich bewege und sie mir nächstens an die Hand geben werde. Wie er sein Wort hielt, zu übergehen würde diese Erinnerungen sehr unvollständig lassen. Wiederholt war ich in den folgenden Wochen mit Notizbuch und Stift bei ihm und nahm, bei einem guten, häuslich angesetzten Fruchtlikör, fliegend, in Stichworten, Verbesserungen und Präzisierungen für frühere musikalische Darstellungen und charakterisierende Einzelheiten auf, die er sich für das Oratorium zurechtgelegt hatte. Vollkommen vertraut mit den Absichten des Ganzen und denen dieses besonderen Stückes, zielte er mit seinen Anregungen und Vorschlägen genau auf das Wesentliche, nämlich: das Werk dem Vorwurf des blutigen Barbarismus sowohl wie dem des blutlosen Intellektualismus bloßzustellen.
Die Vorbereitungen zu dem so entscheidenden Abschnitt hatten, unter Dante-Lektüre, dem Studium der Apokryphen {524} und allerlei sich gutwillig einfindender Schriften über antikchristliche Jenseitsvorstellungen und Apokalyptik, lange gedauert. Gegen Mitte Januar 46 begann ich ihn zu schreiben, und bis Anfang März, also für sechs Wochen, sollte er meine Kräfte in Anspruch nehmen, – was gar nicht viel ist, denn diese Kräfte schwankten mehr und mehr, und im Tagebuch mehren sich die trockenen Vermerke über Kopfschmerzen, Hustennächte, Nervenschwäche und »absurde« Müdigkeit. Wie manches war zudem immer zwischenein improvisierend zu leisten und da und dort beizutragen: Bei einem Meeting in »Defense of Academic Freedom« war zu sprechen, eine Radio-Ansprache zu Roosevelts Geburtstag zu diktieren, die Abfassung des
Berichts über meinen Bruder,
eine mir liebe und dokumentarisch wichtige Arbeit, fiel auch in diese Zeit. An wohltuenden Eindrücken, die matte Stimmung zu heben, fehlte es nicht. – Das Buch der Käte Hamburger in Göteborg, Schweden, über
Joseph und seine Brüder
erschien, der eindringliche Kommentar einer Philologin, bei dessen Lektüre ich nun freilich eine Art von Neid empfand auf jene Zeit heiter mythologischen Spieles, für welches das makabre Werk der Gegenwart so wenig, so gar keinen Raum bot. Ich schalt es unepisch, unhumoristisch, unerfreulich, künstlerisch glücklos. Und doch drang ein erstes Echo davon, drangen Stimmen frühester Leser des Unfertigen nun zu mir, tröstliche Stimmen und erschütternder in ihrer schriftlichen Befestigung, als aller mündlicher Zuspruch, der mir wohl auch schon zuteil geworden. Erich Kahler in Princeton hatte der Übersetzerin, Helen Lowe-Porter, das Maschinen-Manuskript, soviel sie davon hatte, stückweise entführt, und er, von dem eines Tages die großartige Analyse des Buches, genannt
Säkularisierung des Teufels,
kommen sollte, schrieb mir schon über das Fragment in Akzenten, die mich in natürlicher Proportion zu den Sorgen und Zweifeln beglückten, die das {525} Leidenswerk mir bereitete. Die getreue Dolmetscherin selbst, zurückhaltend sonst immer aus reiner Bescheidenheit mit Äußerungen über das ihr Aufgetragene, schrieb auch. »I strongly feel«, schrieb sie, »that in this book you will have given your utmost to the German people.«
Um was sonst wäre es uns jemals zu tun, als unser Äußerstes zu geben? Alle Kunst, die den Namen verdient, zeugt von diesem Willen zum Letzten, dieser Entschlossenheit an die Grenze zu gehen, trägt das Signum, die Wundmale des »utmost«. Dies war es, das Gefühl des Willens zum äußersten Abenteuer, was mich an Werfels utopischen Nachlaß-Roman
Der Stern der Ungeborenen
fesselte, den ich jetzt las. Der Übersetzer, Gustav Arlt, überließ mir das Maschinenmanuskript des Originals. Ein Kapitel daraus, die Gymnastenfahrt der chronosophischen Schulklasse in den interplanetaren Weltraum, hatte der Verstorbene als Geburtstagsgabe an mich für das Juni-Heft der »Neuen Rundschau« beigesteuert. Es schließt mit dem mystischen Paradoxon, daß eine Größe
an
Größe sich selbst übertreffen, die Energie eines Lichtgestirns
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