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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Röntgen-Aufnahmen meiner Lunge, hatten einen »Schatten« irgendwo an diesem Organ zum Vorschein gebracht, von dem {528} der Doktor meinte, daß man gut täte, ihn weiter zu beobachten. Vorderhand empfahl er die Behandlung von Nase und Rachen durch einen Spezialisten, Mantschik mit Namen, französierter Pole und von sehr geschickter Hand, der sein Bestes tat, Symptome zu mildern, deren sekundärer Charakter immer deutlicher wurde. Längst hatte ich, nur halb eingestandenermaßen, nachmittags und abends ein bißchen erhöhte Temperatur und hatte auch welche, als ich am Abend des Tages, an dem ich das Oratorium abgeschlossen, zusammen mit meinem Bruder einen Rezitationsabend besuchte, den Ernst Deutsch im Warner-Studio veranstaltete. Eine gleichartige Darbietung des bedeutenden Schauspielers und vorbildlichen Sprechers hatte ich schon versäumt und konnte gar nicht anders, als diesmal seiner herzlichen schriftlichen Einladung zu folgen. Zahlreiche Bekannte waren da, und ich genoß den Abend sehr, in dem etwas verfremdeten, zugleich matten und gehobenen Zustand, in den ein mäßiges Fieber versetzt. Spät kam ich zu Bette – und verließ es dann einige Tage nicht, da eine grippige Erkrankung, nachmittags immer 39° Fieber erzeugend, mich darin festhielt. Eine Tag und Nacht alle drei Stunden durchgeführte orale Penicillin-Kur schlug überhaupt nicht an. Besser half immer die Empirin-Kodein-Mischung. Ich schlief viel, auch am Tage, und las nicht wenig, hauptsächlich Nietzsche, denn der Vortrag über ihn schien nächstes Arbeitsprogramm. Es kamen dann Tage, die ich, zur Not genesen, aber bei fortbestehender Neigung zu Rückfällen in Über-Temperatur, teilweise außer Bett, im Bett nur vormittags, lesend und schlummernd, verbrachte. Eine Krise im Schoß der »United Nations« wegen Irans und des von Churchill angeregten englisch-amerikanischen Militärbündnisses, dazu das Rede-Duell zwischen ihm und Stalin spielten sich eben ab. Churchill sprach elegant und Stalin grob, ganz unrecht, fand ich, hatte keiner. Das fin {529} det man allermeist, und nur einmal im Leben, zu meiner Erbauung, habe ich’s nicht so gefunden. Hitler hatte den großen Vorzug, eine Vereinfachung der Gefühle zu bewirken, das keinen Augenblick zweifelnde Nein, den klaren und tödlichen Haß. Die Jahre des Kampfes gegen ihn waren moralisch gute Zeit.
    Ein Hin und Her von halber Genesung und Rückfällen in fiebrige Zustände folgte. Ich fuhr und ging etwas aus, aber es wollte nicht gut tun, und namentlich die sonst so geliebte Seebrise schadete mir. Zum Tee sah ich Gäste, aber meine Frau brachte dann wohl mit Kopfschütteln das oben liegengelassene Thermometer, das wieder mehr als 38 zeigte, und schickte mich zu Bette. Viel rekapitulierte ich Nietzsche, besonders die Schriften aus den frühen siebziger Jahren und
Nutzen und Nachteil der Historie
und machte Notizen. Den 75. Geburtstag meines Bruders begingen wir mit einer kleinen Abendgesellschaft, und ich erinnere mich an ein lebhaftes Gespräch mit ihm über den Gegenstand meines Vortrags. Auf seinen Wunsch übernahm damals Dr. Friedrich Rosenthal meine Behandlung. Er wandte Injektionen meines eigenen Blutes an, die nichts fruchteten, und versuchte es dann mit einer Empirin-Bellergal-Kur, um kein Fieber mehr aufkommen zu lassen. Unterdessen hatte er die letzten Röntgen-Aufnahmen der Lunge eingefordert, die ihm das klare Bild einer Infiltration am rechten Unterlappen ergaben. Er verlangte die Zuziehung eines Spezialisten, der, Amerikaner, den Befund durch Untersuchung bestätigte und die bronchoskopische Feststellung des Abszesses beantragte, auch schon die Notwendigkeit der Operation durchblicken ließ. Ich war mehr verwundert als erschrocken, denn nie hatte ich gedacht, daß mir von den Atmungsorganen her je irgendwelche Gefahr drohen werde, und die einhellige Versicherung der Ärzte ging denn auch dahin, daß es sich, um {530} keinen tuberkulösen Prozeß handelte. »Vieles«, schrieb ich, »an meinem Befinden während der letzten Monate erklärt sich aus der Entdeckung. Unter wie schlechten Bedingungen habe ich gearbeitet! Andererseits ist sicher der schreckliche Roman zusammen mit den deutschen Ärgernissen an der durch die Grippe aktivierten Erkrankung schuld. – Aufschub der Vortragsreihe bis Oktober beschlossene Sache.«
    Und das Tagebuch bricht ab.

XIII
    Der energische Fortgang der Dinge, wie sie sich nun, und zwar glücklich, entwickelten, ist allein meiner Frau zu danken, die von

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