Die Epidemie - Teil 1
packte meine Sachen wieder ein und schnallte mir den Rucksack erneut auf dem Rücken fest. Meine Schultern schmerzten jetzt schon höllisch und die ersten Anzeichen von Verspannungen waren deutlich spürbar.
Mein zweiter Marsch dauerte etwas länger. Etwa gegen Mittag hörte ich sie zum ersten Mal. Durch die große Anzahl an unterschiedlichen Stimmen verwandelte sich das Gebrüll in ein angsteinflößendes Summen.
Durch das Geschrei gewarnt, suchte ich mir ein geeignetes Versteck. Meine Wahl fiel auf einen kleinen Kiosk, der sich zwischen den Häuserreihen befand.
Es war kein besonders sicherer Ort, doch für eine Verschnaufpause, in der ich über das weitere Vorgehen nachdenken konnte, reichte er vollkommen aus.
Bei dem Kiosk handelte es sich um eine kleine Blechhütte, die mich an eine übergroße, öffentliche Toilette erinnerte. Ich hätte jede Wette eingehen können, dass solch eine Konstruktion nach dem deutschen Baurecht niemals eine Baugenehmigung erhalten hätte. Hier in Russland musste man sich über diesen Papierkramm jedoch keinen Kopf zerbrechen. Es wurde einfach gebaut.
Um mir ein genaueres Bild von der Lage zu machen, musste ich mich auf eine Erkundungsmission begeben. Die Horde konnte nicht weit von meinem momentanen Standort entfernt sein und hinter einer Ecke auf sie zu stoßen, hätte meinen sicheren Tod bedeuten können. Eine vorsichtige Erkundung der Lage stand daher an erster Stelle.
Beim Eintreffen im Kiosk fiel mir sofort auf, dass dieser bis auf das Letzte leergeräumt war. Alle Packungen mit Süßigkeiten und eingeschweißten Gebäckstückchen waren leer. Sogar die Bier- und Softgetränkdosen fehlten. Auf dem dreckigen Boden sah ich nur ein Kaugummiplättchen, das den wachsamen Augen der Plünderer entgangen war. Ich nahm es auf, packte es aus und schob mir das Kaugummi in den Mund. Der Erdbeergeschmack sollte vorerst als kleine Stärkung meinen Magen beruhigen. Ich entledigte mich zunächst meines Rucksackes und verstaute ihn in einer Ecke.
Mein gewagtes Abenteuer musste nachts, im Schutze der Dunkelheit stattfinden. So erhoffte ich mir die größeren Erfolgs- und Überlebenschancen.
Ich schaltete das Radio ein und suchte nach einem Lebenszeichen anderer Überlebender. Die Frequenz, die von der Radiostation verwendet wurde, blieb weiterhin stumm. Das beunruhigte mich und ich betete, dass mein Hilfeversuch nicht zu spät kam.
Die Pistole sollte mir bei dem nächtlichen Ausflug als Primärwaffe zum Schutz dienen. Das Gewehr wollte ich zunächst im Kiosk lassen, überlegte es mir im Laufe des Tages jedoch anders. Ich konnte und wollte die Gefahr, dass das Prachtstück in meiner Abwesenheit von jemandem entwendet wird, nicht unnötig eingehen.
In den letzten Tagen hatte ich nur sehr wenige nicht infizierte Menschen zu Gesicht bekommen. Doch die Tatsache, dass jemand den Kühlschrank im Haus und den Kiosk geplündert hatte, sprach dafür, dass immer noch viele Menschen unterwegs waren, die genau wie ich versuchten, sich mit dem was sie fanden zu versorgen.
Die Taschenlampe konnte mir bei meinem Vorhaben sehr nützlich sein, angenommen sie funktionierte. Ich holte sie aus meiner Tasche hervor und nahm sie nun etwas genauer unter die Lupe.
Das Birnchen schien im einwandfreien Zustand zu sein. Die Glühwendel hing vollständig an dem Traggerüst und baumelte nicht wild herum. Um das Ding zum Leuchten zu bringen, musste ich irgendwo die AAA-Batterien auftreiben.
Ich dachte sofort an das Radio. Immerhin funktionierte es ohne Stromanschluss und musste sich den nötigen Saft aus einer anderen Quelle besorgen. Ich machte mich an dem Deckel zu schaffen und versuchte ihn zu öffnen. Die kleinen Schrauben drehte ich mühselig mit den Spitzen meiner Fingernägel auf, doch die Mühe machte sich schlussendlich bezahlt. Vor mir lagen nun sechs AAA-Batterien.
Für die Zukunft sollte ich aber Ausschau nach einem kleinen Taschenmesser halten. Meine Fingernägel sahen mehr als mitgenommen aus.
Ich testete die Taschenlampe. Dabei verdeckte ich das Licht mit meinem Bein. Plötzliches, grelles Aufleuchten konnte die Aufmerksamkeit auf mich lenken.
Als sich die Sonne an dem Horizont neigte, stärkte ich mich etwas und trank die letzten Glasfläschchen mit Wasser aus. Seit dem Ausbruch der Epidemie nahm ich meine Nahrung mit solch einer Hingabe auf, dass es schon einem meditativen Ritual glich.
Im Gegensatz zu früher verschlang ich das Essen nicht nur mittelmäßig zerkaut oder nahm es nicht
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