Die Erben
derartiger Vergleiche fähig gewesen wäre, hätte er sich vielleicht gefragt, ob diese schwache Spur eine wirkliche Witterung war oder nur die Erinnerung an eine solche. So fein und verblaßt war der Geruch, daß Fa Lok nicht verstand, als er ihr seine Frage zublickte. Sein Atem trug ihr das Wort entgegen. »Honig?«
Liku hüpfte hin und her, bis Fa es ihr verwies. Lok prüfte nochmals die Luft, aber diese kam aus einer anderen Richtung und war leer. Fa wartete.
Lok brauchte sich nicht zu überlegen, woher der Wind wehte. Er kletterte auf eine Felsenbank, die ihre Fläche der Sonne entgegenhielt, und suchte darauf umher. Die Windrichtung änderte sich noch einmal, und die Witterung war wieder da, wurde aufregend wirklich; und bald folgte er ihr zu einer kleinen Klippe, die Frost und Sonne und nagender Regen aufgespalten und mit einem Netz von Rissen überzogen hatten. An einem dieser Risse waren Flecken, wie die Abdrücke brauner Finger, und eine einsame Biene, in der kaum Leben war, obwohl die Sonne stracks auf die Felsplatte fiel, klammerte sich vielleicht eine Handbreit neben der Öffnung an das Gestein. Fa warf den Kopf zurück. »Es wird nicht viel Honig drin sein.« Lok kehrte seinen Dornenast um und steckte das splittrige Ende in den Spalt. Ein paar Bienen begannen dumpf zu summen, von Kälte und Hunger noch halb betäubt. Lok fuhr mit dem Ast wie mit einem Hebel in dem Spalt hin und her. Liku hopste vor Freude.
»Ist Honig drin, Lok? Ich will Honig haben!« Bienen krochen heraus und torkelten um sie herum. Einige fielen plump zu Boden und schleppten sich mit fächernden Flügeln weiter. Eine verfing sich in Fas Haar. Lok zog den Ast heraus. Ein wenig Honig und Wachs klebte unten daran. Liku hörte auf zu hüpfen und leckte das Ende sauber. Jetzt da die anderen den ärgsten Hunger gestillt hatten, konnten sie mit ungetrübter Freude zusehen, wie Liku aß. Lok schnatterte.
»Honig ist so gut. Im Honig ist Kraft. Sieh, wie gern Liku Honig ißt. Ich sehe ein Bild von der Zeit, wenn der Honig aus dieser Spalte im Fels herausfließen wird, daß man ihn an den Fingern ablecken kann — so!« Er strich mit der Hand am Gestein entlang, leckte sich die Finger und schmeckte die Erinnerung an Honig. Dann stieß er das Astende erneut in den Spalt, damit Liku zu essen hatte. Bald wurde Fa unruhig. »Das ist alter Honig aus der Zeit, da wir zum Meer hinabgezogen sind. Wir müssen noch mehr Nahrung suchen, für die anderen. Komm!«
Aber Lok stieß den Ast abermals hinein aus Freude an Likus Genuß und ihrem kleinen Bauch und dem Nachgeschmack des Honigs vergangener Zeit. Fa schritt weiter die Felsplatte hinunter. Sie ließ sich über die Kante hinab und war verschwunden. Da hörten sie sie aufschreien. Liku kletterte auf Loks Rücken, und er eilte den Fels hinab dem Schrei entgegen, den Dornenast abwehrbereit in der Hand. Am Rand der Platte war eine schartige Rinne, die auf das freie Land hinausführte. Fa hockte am Eingang dieser Rinne und spähte über das Gras und die ebene Heide hinweg. Lok rannte zu ihr. Sie zitterte unmerklich und stellte sich auf die Fußspitzen. Zwei gelbliche Tiere standen da draußen, mit den Beinen im hohen, braunen Heidekraut, so nahe, daß man ihre Augen sehen konnte. Es waren spitzohrige Tiere; Fas Stimme hatte sie in ihrem Treiben gestört, und nun witterten sie und äugten herüber. Lok ließ Liku zu Boden springen. »Rauf!«
Liku kroch an der Wand der Rinne hoch und kauerte sich ganz oben nieder, wo Lok nicht mehr hinaufreichen konnte. Die gelben Tiere bleckten die Zähne. »Jetzt!«
Den Dornenast seitwärts haltend schlich Lok sich an. Fa schlug einen Bogen zu seiner Linken. In jeder Hand hielt sie einen scharfkantigen Stein. Die beiden Tiere rückten dichter zusammen und knurrten. Fa holte blitzschnell mit dem rechten Arm aus, und der Stein fuhr dem Weibchen in die Rippen. Das Tier bellte auf und rannte jaulend davon. Lok machte einen Satz, schwang den Ast und stieß dem Männchen die Dornen in die Schnauze. Nun verhielten die beiden Tiere außer Reichweite und kläfften böse und aufgeregt vor sich hin. Lok befand sich jetzt zwischen ihnen und ihrer Beute. »Schnell! Ich rieche Katze.«
Fa lag schon auf den Knien und machte sich über den schwarzen Fleischklumpen her.
»Eine Katze hat alles Blut herausgetrunken. Es ist kein böses Fleisch mehr. Die Gelben sind noch nicht bis an die Leber gekommen.«
Sie bearbeitete den Bauch des Rehs mit dem Steinsplitter. Lok drohte den
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