Die Erben der alten Zeit - Das Amulett (Die Erben der alten Zeit - Trilogie) (German Edition)
gehen könnt.« Er wandte sich an Kunar.
»Du kennst doch Odens Späher?«
»Du meinst seine Bärsärker? Naja, ich habe Oden, Lodur und Höner in der Triade gesehen. Außerdem kenne ich Vidar vom Sehen.« Charlie lauschte aufmerksam. Sie versuchte zu verstehen, wovon hier die Rede war. Biarn schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte er. »Nicht seine Helfer. Ich rede von Hugin und Munin, seinen Spähern. Kunar hob fragend die Augenbrauen.
»Hugin und Munin? Du meinst die Raben? Gibt es die tatsächlich? Ich dachte, das wäre nur eine Schauergeschichte, die Kindern erzählt wird, um sie zu ängstigen!?« Biarn fuhr sich mit der Rechten durch seine kurzen hellen Haare. Wenn möglich waren sie nun noch unordentlicher als zuvor. Tora starrte Biarn stirnrunzelnd an.
»Hugin und Munin?«, fragte sie zweifelnd. Biarn fuhr fort:
»Ihr wisst doch, dass Oden auch der Rabengott genannt wird?« Tora und Kunar nickten.
»Seine beiden Raben Hugin und Munin dienen ihm als Späher. Sie berichten ihm von ihren Streifzügen. Auf diese Weise erfährt Oden vieles, was ihm sonst verborgen bliebe.«
Charlie starrte ungläubig von einem zum anderen. Sprechende Raben? Das wurde ja immer schöner! Und dann erinnerte sie sich plötzlich an etwas! Ein Bild tauchte vor ihrem inneren Auge auf.
Sie stand auf Gymers Berg und starrte über die weite abrasierte Fläche, die dampfend und grau am Fuß des Berges lag. Meilenweit erstreckte sie sich, bis zum Horizont. Zwei schwarze Vögel kreisten in weiten Bögen über die leere Fläche…
Charlie fröstelte es. Hugin und Munin, Odens Späher. Hatten sie das Ausmaß der Katastrophe in Augenschein genommen und Oden Bericht erstattet? Dem Himmel sei Dank, waren sie nicht entdeckt worden! Ein leiser Zweifel regte sich. Sie waren doch nicht entdeckt worden?
»Fliegen sie immer zu zweit?«, fragte Charlie leise. Biarn nickte.
»Immer!« Er musterte Charlie. »Du hast sie gesehen.« Charlie nickte.
Ȇber dem Neuen Land, am Tag danach. Jeder wusste sofort, was Charlie mit am Tag danach meinte. Der Tag nach der Katastrophe.
»Glaubst du, sie haben uns bemerkt?«, fragte Charlie unruhig. Biarn überlegte kurz.
»Nein, ich glaube nicht. Sie wären längst hier gewesen, um euch zu kontrollieren. Es sind immerhin über zwei Wochen vergangen.« Biarn schaute in die Runde.
»Also noch einmal! Ihr müsst vorsichtig sein! Ich muss wieder los. Ich muss vor Sonnenuntergang zu Hause sein.« Biarn erhob sich und ging zu Gyller hinüber. Nun kam Leben in Tora, die die ganze Zeit über bekümmert zugehört hatte.
»He, Gyller bleibt aber hier! Er gehört dir nicht!« Biarn lächelte Tora nachsichtig an.
»Er kann nicht hierbleiben. Es ist zu gefährlich.« Tora fing lauthals an zu protestieren, bis Kunar sie sanft aber bestimmt unterbrach.
»Du kannst ihn nicht hierbehalten. Er passt nicht durch den Spalt zur Höhle und er würde zu viel Aufmerksamkeit auf sich lenken. Einhörner verbringen ihre Zeit nicht freiwillig in den Bergen. Es sind Weidetiere. Siehst du hier Weiden?« Tora meuterte noch eine Weile herum und klammerte sich verzweifelt an Gyllers Hals fest. Schließlich gab sie nach. Sie muss te ihrem Bruder wohl oder übel r echt geben.
»Ich werde gut für ihn sorgen. Ich verspreche es dir. Und er wird weiterhin dir gehören, ich leihe ihn mir nur aus.« Biarn wartete geduldig auf Toras Einverständnis. Sie umarmte Gyller noch einmal und lief dann davon.
»Hier, ich habe euch einige Decken mitgebracht!« Biarn warf Kunar ein großes festverschnürtes Paket zu, das über Gyllers Rücken gelegen hatte.
»Könnt ihr bestimmt gut gebrauchen.« Dann verabschiedete er sich von Charlie und Kunar, ermahnte sie nochmals zur Vorsicht, versprach bald wiederzukommen und ritt dann eilig den Berg hinab.
Charlie und Kunar standen noch lange am Höhleneingang und sahen ihm nachdenklich und besorgt nach. Biarn war ein gefährliches Risiko eingegangen, um sie zu warnen. Auch er würde vermutlich verhört werden, wenn er dabei gesehen wurde, wie er einsam auf einem Einhorn durch Gymers Berg ritt. Sie hofften, er würde unbeschadet nach Hause kommen.
»Halt still!«, mahnte Tora. »Ich kann den Verband nicht richtig zuknoten, wenn du ständig so rumzuckst!« Charlie biss sich auf die Unterlippe.
»Dann sei etwas vorsichtiger, ja!?«, fauchte sie gepresst durch Lippen und Zähne.
Tora hatte kurz nach Biarns Abschied einige Kräuter aus ihrer Vorratskammer geholt, darunter Schafgarbe, Kamille und Arnika. Sie
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