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Die Erben der Nacht 04 Dracas

Die Erben der Nacht 04 Dracas

Titel: Die Erben der Nacht 04 Dracas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schweikert Ulrike
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durch Öffnungen im Dach in den Nachthimmel davonströmte. Was sich die Menschen so alles ausdachten!
    Wieder wuselte eine Ratte vorbei. Hindrik bedauerte, dass er nicht wie die Erben gelernt hatte, sich ihres Geistes und ihrer Sinne zu bedienen. Zu gerne wäre er mit ihr bis ins Opernhaus gewandert, hätte dem Gesang der Darsteller gelauscht und sich am Geruch der Besucher berauscht. So blieb ihm nichts anderes, als zu warten.
    Die Stunden verstrichen. Längst war die Vorstellung in der Oper vorüber und Darsteller und Gäste nach Hause gegangen. Nun waren vermutlich die Ratten die einzigen Lebewesen, die noch im Opernhaus umherstrichen. Mitternacht kam und ging.
    Was die anderen wohl gerade machten? Das Fest im Palais Coburg war sicher in vollem Gang. Vielleicht tanzte Alisa gerade mit Franz Leopold. Hindrik hatte sie in ihrer Tanzstunde einmal beobachtet. Eine Vamalia und ein Dracas? Wer hätte gedacht, dass sie so harmonieren könnten. Und Sören mit Chiara? Wie die Zeiten sich änderten. Die Idee der Akademie schien aufzugehen, vielleicht mehr, als sich viele heimlich wünschten. Nicht alle Vampire würden die neue Entwicklung begrüßen. Zu lange waren die Vorurteile gepflegt worden. Hindrik konnte sich davon nicht ausnehmen. Noch immer schien ihm die Galle hochzusteigen, wenn er an Tammo
und die beiden Pyras dachte, die nach wie vor die dicksten Freunde waren. Wenn überhaupt, hatte sich deren Bindung in Paris noch gefestigt. Hindrik tat sich schwer, auch nur vor sich selbst zuzugeben, dass die Pyras, wie er sie in den Monaten in ihren Labyrinthen unter der Stadt kennengelernt hatte, nicht so übel waren wie ihr Ruf. Sie waren roh, ungebildet und schmutzig, aber sie hatten die Erben wertvolle Dinge gelehrt, die sie in ihrem Überlebenskampf gegen die Menschen stärken würde.
    Was war das? Hindrik beugte sich ein wenig vor. Irrte er sich, oder hatte sich das Mädchen gerade bewegt? Ein leichtes Rascheln. Wieder nur eine Ratte? Nein, es kam aus dem geöffneten Sarg.
    Hindrik drehte den Docht der kleinen Öllampe höher, die Alisa ihm gegeben hatte. Die flackernde Flamme ließ Schatten über das Antlitz tanzen und täuschte vor, es würde zum Leben erwachen. Nein, noch war es nicht so weit. Oder doch? Plötzlich zuckten die Beine unter dem langen Nachtkleid, und dann bewegten sich die Finger der linken Hand. Es hatte begonnen.
    Hindrik dachte an seine eigene Wandlung zurück, doch alles, was ihm einfiel, war die Finsternis, die ihn umschlang und unerbittlich von dem verlockend warmen Lichtschein wegzog, der ihn sanft umhüllen wollte. Und dann kam der Schmerz. Nichts, was er in seinem Leben erfahren hatte, konnte sich auch nur annähernd mit diesem Schmerz messen. Und er hatte kein einfaches Leben gehabt!
    Ihre Gesichtsmuskeln begannen zu zittern. Unvermittelt riss Clarissa die Augen auf. Ihr Oberkörper bäumte sich auf, sie öffnete die Lippen und schrie! Obgleich Hindrik darauf gewartet hatte, zuckte er unter der namenlosen Pein zusammen. Er sprang auf und ließ sich neben dem Sarg auf die Knie fallen. Seine Arme schlossen sich um den bebenden Leib. Nicht zärtlich, nein, es war schon mehr nötig, sie in ihrem Sarg zu halten. Das waren nicht mehr die Kräfte eines Mädchens. Das war die ungestüme Gewalt der Natur, die den menschlichen Leib in den eines Vampirs verwandelte. Ihr Körper starb und war nur noch eine Hülle, die - statt wie bei einem normalen Toten von Fäulnis zersetzt zu werden und zu zerfallen - von etwas anderem ausgefüllt wurde, das Hindrik nicht so recht zu
benennen wusste. Vielleicht war es etwas wie diese Bakterien, die der Wissenschaftler Pasteur entdeckt hatte. Winzige, unsichtbare Lebewesen, die nicht nur Milch verderben ließen, sondern auch menschliche Körper schwächten oder gar töteten, wenn sie sich in ihrem Wirt ausbreiteten wie Parasiten. Ja, vielleicht gab es so etwas wie einen Vampirerreger, der sich in dieser ersten Nacht im Körper seines Opfers ausbreitete und sein Blut, sein Gewebe, Haut und Knochen veränderte, bis der widerstandsfähige Leib eines Vampirs entstand, der mit jedem Jahr noch stärker und schneller wurde. Zwar nicht unverletzlich, doch nur noch durch wenig auf dieser Welt gänzlich zu zerstören. Wenn das Herz, das schon lange nicht mehr schlug, von Silber durchbohrt wurde, wenn der Kopf von den Schultern fiel oder die Strahlen der Sonne den Vampir verbrannten. Ansonsten gab es nichts, das nicht an einem Tag während der Totenstarre wieder heilen konnte.

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