Die Erben der Nacht 04 Dracas
spürte sie seine Gegenwart deutlicher, als es ihr lieb sein konnte.
»Ah, ihr wolltet ohne mich auf brechen?«, näselte der Dracas, wie er es schon eine ganze Weile nicht mehr getan hatte.
»Ja! Das ist nichts, was dich etwas anginge«, fuhr ihn Alisa an.
Franz Leopold überwand die letzten Stufen mit ein paar Sprüngen. »Mag sein«, gab er ungerührt zu, »doch ich frage mich, ob ihr das unglückliche Geschöpf nun monatelang in einem Lüftungsgang verstecken wollt. Das könnte ihr aufs Gemüt schlagen. Solch eine Behandlung ist das Fräulein von Todesco nicht gewöhnt.«
»Sie ist nicht mehr das Fräulein von Todesco. Sie ist jetzt ein
Vampir«, gab Alisa mit gedämpfter Stimme zurück. »Und das ist ganz alleine deine Schuld.«
Es war zwar keiner der Dracas zu sehen, doch man wusste nie, wohin sie ihre Sinne ausrichteten.
Franz Leopold ließ sich nicht beeindrucken. »Ich war ein wenig daran beteiligt, das gebe ich zu, aber ich will mich nicht mit fremden Federn schmücken. Der Gerechtigkeit halber muss ich dich daran erinnern, dass nicht ich sie an den Rand des Todes gesaugt habe und auch nicht direkt an ihrer Wandlung beteilig war. Das darf unser Nosferas für sich verbuchen.«
»Egal, doch du hast das Unglück angestoßen. Und nun verschwinde. Wir müssen sehen, wie es Clarissa heute Nacht geht.«
»Tut, was ihr nicht lassen könnt. Ich kam nur, um vorzuschlagen, sie an einen wohnlicheren Ort zu bringen. Wenn ihr allerdings den Luftschacht für angemessen haltet …« Er zuckte mit den Schultern.
»Tun wir nicht, aber wohin sollten wir sie schaffen, ohne sie in Gefahr zu bringen? Hierher ins Palais Coburg etwa? Nicht einmal in den Kasematten wäre sie vor Entdeckung sicher.«
Franz Leopold nickte hoheitsvoll. »Da stimme ich dir zu. Es ist sicher schwierig, den Dracas in ihrem eigenen Haus etwas zu verbergen. Doch ihr könntet euch fragen, ob mir als Wiener nicht ein anderes geeignetes Domizil bekannt wäre.«
Luciano sah ihn interessiert an. »Woran denkst du?«
»An ein Haus, in dem sie sich wohlfühlen dürfte, auch wenn es vielleicht nicht so prächtig ausgestattet ist wie das Palais Todesco. Und auf ihre Dienerschaft müsste sie ebenfalls verzichten. Sie kann Hindrik ja ein wenig herumkommandieren, wenn er sich das gefallen lässt, was ich mir durchaus vorstellen könnte. Schließlich ist er von Alisa nichts anderes gewöhnt.« Er warf ihr einen schnellen Blick zu und sie sprang auch gleich auf die Provokation an.
»Ich scheuche Hindrik nicht herum. Im Gegensatz zu euch Dracas respektieren wir unsere Servienten und deren Meinung und halten sie nicht wie Sklaven!«
Luciano rollte mit den Augen. »Bei allen Dämonen, Alisa sei nicht so kindisch. Lernst du denn nichts dazu? Leo muss nur den
richtigen Akkord anschlagen und schon wirst du zur Furie. Als ob das jetzt wichtig wäre. Sag uns lieber, an was für einen Ort du denkst, Leo. Oder komm mit uns und berichte uns unterwegs. Wenn das Haus passt, bringen wir Clarissa gleich hin.«
Alisa warf noch einen kurzen Blick zu Ivy und Seymour. »Wir beeilen uns, damit wir rechtzeitig zurück sind«, versicherte sie ein wenig abwesend. Lucianos Worte hatten sie getroffen. War sie wirklich kindisch? Lernte sie nicht dazu? Doch wie konnte Luciano so abgeklärt sein und vernünftig mit Leo umgehen, wo er ihn derart enttäuscht und sein Vertrauen missbraucht hatte? Hatte nicht Luciano viel mehr Grund, Leo dafür zu hassen? Dennoch dachte er klarer als sie und ließ sich nicht von seinen zornigen Gefühlen leiten. Ihm war nur wichtig, das Beste für Clarissa zu tun. Dafür war er bereit, Leos Hilfe anzunehmen. Wie aber sah es in seinem Innern aus? Konnte er Leo auch verzeihen? Hatte ihre Freundschaft noch eine Chance oder sprach er nur mit ihm, weil die Umstände ihn dazu zwangen?
Und sie? Was war mit ihr selbst? Noch brodelten Zorn und tiefe Enttäuschung. Und dann? Was würde übrig bleiben, wenn die Wut abgeklungen war?
Mit diesen verwirrenden Gedanken verließ sie das Palais und schloss zu Franz Leopold und Luciano auf, die mit großen Schritten die Seilerstätte hinuntergingen.
Vom First des gegenüberliegenden Hauses erhoben sich zwei Raben und folgten ihnen. Erschreckt löste sich Ivy aus Alisas Gedanken, in die sie sich wieder einmal hatte hineinziehen lassen, und sah den Raben hinterher.
Meinst du, sie folgen ihnen in seinem Auftrag?, fragte Seymour.
Schon möglich. Aber warum, wenn er nur an mir interessiert ist?
Sie stiegen langsam die
Weitere Kostenlose Bücher