Die Erben der Nacht 04 Dracas
Ich wäre trotzdem bei ihr geblieben, aber mein Tod hätte ihr nichts genützt.«
Latona hob entschuldigend die Hände. »Ich wollte damit nicht sagen, dass du feige warst. Ich habe mich nur gefragt, was du mit deinem Bein gemacht hast.« Sie sah auf den dicken Verband herab, der unter der Bettdecke hervorlugte.
»Ein brennender Balken stürzte herab«, sagte Seymour kurz.
»Dann warst auch du im Ringstraßentheater?«, wunderte sie sich. »Wie das?« Sie schüttelte den Kopf, doch dann wurde es ihr klar. »Deine Freunde, sie waren dort! Hast du nach ihnen gesucht?«
Er nickte nur knapp. »Alisa brachte mich her, aber seitdem hat sich keiner mehr blicken lassen.«
Latona zog die Stirn kraus. »Wie sollten sie auch? Sie sind auf dem Weg nach Transsilvanien, um deine Schwester aus den Händen Draculas zu befreien.«
Seymour stieß einen Seufzer aus. Er schien sich nicht zu wundern, woher Latona das wusste. Zumindest fragte er nicht nach. »Möge die große Mutter sie führen und ihnen Kraft geben!« Unvermittelt richtete er seinen Oberkörper auf. »Das heißt, dass auch heute Nacht keiner von ihnen kommen wird.«
Latona nickte. »Ja, uns bleibt nichts anderes übrig, als uns in Geduld zu üben. Mir geht es da nicht besser als dir. Ich wünschte, ich hätte einen Weg gefunden, mitzufahren, und wäre nun an Brams Seite - vielleicht fast krank vor Furcht -, aber dabei, mitten in dem großen Abenteuer!«
»Hör zu, Latona. Ich muss dringend hier raus. Du bist die Einzige, die mir helfen kann!«
Latona sah auf den Verband hinab. »Ich weiß ja nicht, wie schlimm deine Verletzung ist, aber ich glaube, im Moment bist du hier am besten aufgehoben. Es ist zu spät, ihnen zu folgen - noch dazu, wo du dein Bein nicht gebrauchen kannst.«
Seymour schüttelte den Kopf, dass ihm sein langes Haar ins Gesicht klatschte. »Nein, du verstehst nicht. Ich bin ein Werwolf und nicht im Besitz meiner vollen Kräfte. Morgen ist Vollmond. Weißt du, was dann passiert?«
»Du wirst dich verwandeln?«, keuchte sie kaum hörbar. »Kannst du das nicht unterdrücken?«
»Normalerweise schon, aber nicht, wenn ich verletzt bin und die Ärzte mir Morphium spritzen!«
Latona stellte sich vor, was hier im Spital los sein würde, wenn sich einer seiner Patienten - sobald der erste Mondstrahl ins Zimmer fiel - in einen Wolf wandeln würde. Nein, das war kein Spaß, den man ausprobieren sollte!
»Und was machen wir nun?«, fragte Latona ratlos. Sie verstand nicht, warum Seymour plötzlich lächelte. Sein hageres Gesicht wirkte ein wenig weicher.
»Was ist?«, sagte sie schroff. »Habe ich etwas Lächerliches gesagt?«
Seymour schüttelte den Kopf. »Nein, du sagtest: Was machen wir nun. Du hättest auch sagen können: Mir fällt keine Lösung für dein Problem ein.«
Nun lächelte Latona ebenfalls. »Ich weiß auch nicht, warum ich immer in solche Sachen hineingerate, aber irgendwie scheine ich Vampire und andere magische Wesen geradezu anzuziehen. Andere Menschen begegnen ihr ganzes Leben lang keinem einzigen.«
»Oder sie sind nur zu blind und taub, es zu bemerken«, meinte Seymour.
Latona hob die Schultern. »Egal, jedenfalls müssen wir uns überlegen, wie wir dich rechtzeitig hier herausschaffen - und dann brauchen wir einen Platz, wo du dich verstecken und genesen kannst.«
»Für das zweite Problem wüsste ich eine Lösung. Es gibt ein Haus in einer Gasse unten an der Donau, am Rabensteig …«
Latona starrte ihn entgeistert an. »Das Haus der Gespenster? Wo die Seelen der Ermordeten spuken?«
Seymour grinste. »Ah, du hast davon gehört. Ist das nicht ein ideales Versteck für einen Werwolf, der sich nicht ganz im Griff hat? Ich werde dort unter Freunden sein.«
»Wie meinst du das? Wer außer den toten Seelen wohnt denn noch in diesem Haus?«
Seymour zögerte. »Das kann ich dir nicht sagen.«
Sie wischte seine Bedenken mit einer Handbewegung weg. »Für solche Überlegungen ist es nun ein wenig spät, meinst du nicht? Dafür hättest du dich entscheiden können, ehe du mich angesprochen hast.«
Seymour nickte. »Du hast ja recht. Also, im Moment sind dort ein Servient der Vamalia, dem ich vertraue, und eine junge Vampirin.«
»Gut, dann halte dich nach Einbruch der Dunkelheit bereit. Ich werde einen Fiaker organisieren und ein paar Krücken. So wirst du es mit meiner Hilfe schon bis zum Tor schaffen. Ich muss mir nur noch überlegen, wie wir unangenehmen Fragen ausweichen. Wir dürfen nicht riskieren, aufgehalten zu
Weitere Kostenlose Bücher