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Die Erben der Nacht 04 Dracas

Die Erben der Nacht 04 Dracas

Titel: Die Erben der Nacht 04 Dracas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schweikert Ulrike
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verschleppten und im Reich des Sultans ansiedelten. Auf lange Belagerungen ließen sie sich meist nicht ein. Und so hatten die befestigten Orte gute Chancen, ungeschoren davonzukommen.
    In Schäßburg tragen die Stadttürme noch heute die Namen der Zünfte, die für ihre Erhaltung und im Ernstfall für die Verteidigung
dieses Mauerabschnitts zuständig waren. Es gibt zum Beispiel einen Zinngießerturm, einen Seilerturm und so weiter. Interessant ist die Aufteilung der Stadt in drei Bereiche: Die Unterstadt im Tal am Ufer des Flüsschens Târnava Mare bildet zusammen mit der am Berghang gelegenen Oberstadt die Stadt der Lebenden. Die Oberstadt ist von einem mächtigen Mauerring umschlossen. Ganz oben auf der Spitze des Berges, dem Himmel ein Stück näher, errichteten die Siedler eine Stadt der Toten mit der Kirche und dem Friedhof von Schäßburg. Aber auch die Schule, die den Geist des Unwissenden befreit, befindet sich dort oben, um ihn die göttliche Weisheit vielleicht ein wenig besser verstehen zu lassen.« Der Professor schmunzelte. »Der Weg zur Weisheit hat viele Stufen. In Schäßburg sind es genau einhundertfünfundsiebzig. So viele Stufen zählt zumindest die überdachte Schülerstiege, die den nach Weisheit Strebenden bei Wind und Wetter den Weg zu Bildung und Erleuchtung ein wenig erleichtern sollte. Ein scheinbar endloser düsterer Tunnel, der aber hinauf ins Licht führt!«

    Genau über dem seltsamen Bauwerk, das Professor Vámbéry seinen Mitreisenden im Zug beschrieb, kreiste eine Stunde vor Mitternacht ein Schwarm Raben. Es waren etwa zwei Dutzend an der Zahl, auf den ersten Blick kaum voneinander zu unterscheiden. Hätte man sie allerdings aus der Nähe betrachten können, wäre aufgefallen, dass nur etwa die Hälfte über die blankschwarzen Augen verfügte, die man bei diesen Tieren erwartete. Bei den anderen schimmerten die Augen feurig rot. Sie flogen den steilen Hang hinauf auf die Gebäude zu, die sich dort an der Spitze erhoben: Links, ein wenig tiefer an die Ringmauer gelehnt, stand das alte Schulhaus. Ging der Besucher, der die unzähligen Stufen der Stiege überwunden hatte, nur einige Schritte weiter den Berg hinauf, stand er vor dem neuen Schulgebäude und sah auf dem Gipfel die Bergkirche aufragen, die dem heiligen Nikolaus geweiht war. Hinter der Kirche schloss die Stadtmauer mit dem Seiler- und dem Glockenschmiedturm ab. Rechts von der Kirche begann der Friedhof. In Stufen und schmalen Terrassen bedeckten Gräber, Kreuze
und Grabsteine dicht an dicht den steil abfallenden Berghang. Alte Kastanien und düstere Nadelbäume, von Moos und Flechten überzogen, warfen ihre Schatten über die Gräber. Alles war feucht und roch nach Moder. Ein eisiger Wind strich um die Grabsteine.
    Die Glocken von Schäßburg schlugen elf Mal, als die Raben um den Dachreiter der Kirche kreisten und sich dann in den Bäumen des Friedhofs niederließen. Erwartungsvoll schwiegen sie. Da lösten sich einige von ihnen aus dem düsteren Grün der nadeligen Zweige und schwebten zu den Gräbern nieder. Im Schutz der Dunkelheit begannen ihre Leiber anzuschwellen und zu wachsen. Das Federkleid verschwand und wandelte sich in blasse Haut, bedeckt von dunklen Umhängen.
    Tonka erhob sich und sah sich um. Sie trat hinaus auf den von Moos und Farnen bewachsenen Pfad. Dort blieb sie stehen und rührte sich nicht mehr. Die anderen Vampire, die sie von Wien herbegleitet hatten, verharrten im Schatten der Zweige. Auch sie schienen, zu Standbildern erstarrt, auf irgendetwas zu warten.
    Es war gegen Mitternacht, als die Stille durch ein scharrendes Geräusch durchbrochen wurde. Eine Grabplatte bewegte sich. Stück für Stück wurde sie beiseitegeschoben und öffnete einen größer werdenden Spalt, in dem eine tastende Hand erschien. Sie schimmerte weiß im Mondlicht. Die trockene Haut war so gespannt, dass sie einer Knochenhand glich.
    Nun begann es überall auf dem Friedhof zu knirschen und zu schaben. Steinerne Platten wurden weggeschoben oder aufgeklappt. Erst erschienen Hände in den Öffnungen, dann Arme und Köpfe, bis die untoten Gestalten schließlich aus ihren Gräbern geklettert waren. Sie alle sahen grauenhaft aus, befand Tonka, die mit ihren hageren Gesichtszügen und den Narben sicher auch keine Schönheit war, doch mit ihrem langen, schwarzen Haar in ihrem Umhang immerhin beeindruckend wirkte.
    Von allen Seiten kamen sie heran. Sie schlurften und hinkten auf Tonka zu, die sich noch immer nicht gerührt

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