Die Erben der Nacht 04 Dracas
Erstaunen, aber auch Hass und Zorn der versammelten Upiry waren deutlich zu spüren.
»Was hatte Dracula ausgerechnet jetzt in Wien zu suchen?«, fauchte der Woiwode. »Hat er von unserem Plan erfahren und versucht ihn zu vereiteln?«
Tonka überlegte kurz. »Ja und nein. Um die meisten Erben seiner Clans, die ihn verlassen und sich von ihm losgesagt haben, sorgt er sich nicht. Nein, ihn interessiert nur eine von ihnen: Ivy-Máire de Lycana!«
Der Woiwode legte die Stirn in Falten. »Und? Habt ihr sie ihm überlassen?«
»Uns blieb keine andere Wahl«, knirschte Tonka. »Es war in der Nacht, bevor unsere Falle zuschnappen sollte, als er uns im Theater an der Ringstraße bei den Vorbereitungen überraschte. Er befahl uns, Wien sofort zu verlassen.« Entschuldigend hob sie die Hände. »Wir waren zu wenige, um uns dem Meister offen entgegenzustellen. Also dachte ich, wir ziehen uns zurück, bis er sich der Lycana bemächtigt hat, und führen unseren Plan in einer anderen Nacht zu Ende.«
»Und um uns das zu erzählen, hast du uns zusammengerufen?« Der Woiwode wurde langsam ungeduldig. Hastig sprach Tonka weiter.
»Das, was Dracula mit der Lycana vorhat, hat mich veranlasst, sofort zurückzukehren und diese Versammlung einzuberufen.« Noch einmal erlaubte sie sich eine kurze Pause.
»Wir wissen bereits seit Irland, dass diese Ivy keine Erbin der Lycana ist, sondern die Tochter einer mächtigen Druidin. Ihr Bruder Seymour ist der Werwolf an ihrer Seite, der bei einem Treueschwur sein Blut mit dem ihren mischte. Ivy wurde von dem uralten Vampir Turlough gewandelt, einem Barden, Geschichtenerzähler und Druiden unter den Vampiren, der keiner von Draculas Kindern ist und dennoch so etwas wie reines Blut in sich trägt.«
»Was soll das Geschwätz? Was interessieren uns alte Geschichten
aus Irland?«, murrte eine alte Bojarin, die ihr giftige Blicke zuwarf. »Ist das ein Versuch, von deinem Versagen abzulenken?« Vermutlich hätte sie Tonka gern mit ihren eigenen Krallen zerfetzt.
»Versteht doch! Lasst mich erklären, was Dracula Teuflisches gegen uns plant! Ivy-Máire ist nicht irgendeine Unreine. Sie trägt das Blut der alten irischen Vampirrasse, das Blut der Werwölfe und das Blut der Druiden in sich. Ihre außergewöhnliche Magie macht sie stärker als uns alle. Deshalb hat er sie erwählt, um sie nach Poienari zu bringen - als seine Gemahlin! Vermischt mit dem Blut Draculas werden ihre Nachkommen Vampire einer neuen Art, wie wir sie uns in unseren schlimmsten Träumen nicht vorstellen können. Dracula wird mit ihr eine neue Rasse züchten, mit der er seine abtrünnigen Kinder beherrschen oder nach Belieben vernichten kann!«
Die Upiry schwiegen. Einige waren sichtbar geschockt, andere hatten Tonkas Worte noch nicht ganz begriffen und grübelten über deren Bedeutung nach.
»Das ist Unsinn«, rief einer der Bojaren. »Wenn sie eine Unreine ist, kann sie sich nicht fortpflanzen. Alle Unreinen sind unfruchtbar!«
»Du hast nicht zugehört, Vadim«, sagte Tonka trügerisch sanft. »Sie ist keine gewöhnliche Unreine. Sie ist die magische Essenz aus Vampir, Werwolf und Druide, die fruchtbarer sein wird, als du es dir je vorstellen kannst.«
Der Woiwode trat einige Schritte näher. Er kniff die Augen zusammen und starrte sie an. Ein tiefes Schweigen senkte sich über den Friedhof. Tonka hatte ihr Scheitern zugegeben. Auch wenn es sich um einen außergewöhnlichen Fall handelte, war die Tatsache doch unumstößlich. Niemand bekam jemals eine dritte Chance! Einen Fehler gutmachen zu dürfen, war schon eine Ausnahme. Das wusste auch Tonka. Aufs Äußerste angespannt, sah sie dem Woiwoden ins Gesicht.
Als er sprach, war seine Stimme leise. »Hast du dir überlegt, was wir nun tun sollen?«
Tonka reckte das Kinn. »Ja, Bojislav, unser Woiwode, das habe ich. Deshalb habe ich die Upiry zusammengerufen.«
»Nun, dann sprich.«
»Mit meinen wenigen Begleitern hatte ich in Wien nicht die Möglichkeit, mich ihm entgegenzustellen. Doch wenn wir uns vereinen, dann können wir ihn besiegen. Wir werden ihm dieses Weib entreißen und sie vernichten! Wir werden nicht zulassen, dass er sich wieder zum Herrn über uns aufspielt oder gar eine Rasse züchtet, der wir unterlegen sind. Wir werden Dracula deutlich machen, dass es Zeit für ihn ist, sich auf den Platz des Altehrwürdigen zu begeben und sich nicht länger in den Lauf der Geschichte einzumischen. Seine Zeit ist um. Nun beginnt das Zeitalter der Upiry, über alle
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