Die Erben der Nacht 04 Dracas
verwandelten sie sich wieder in Fledermäuse und flatterten dicht über dem kiesigen Grund der Schlucht, durch den sich das Wasser des Flusses sein unstetes Bett suchte.
Da! Alisa fiepte und schlug aufgeregt mit den Schwingen. Ist das dort oben Poienari?
Sie waren gerade erst aufgebrochen und der Flussschleife um einen steilen, bewaldeten Berg gefolgt, als sich vor ihnen von rechts ein felsiger Rücken in die Schlucht schob und den Fluss nach Osten abdrängte, sodass er gezwungen war, ihn in einem Bogen zu umfließen. Am Fuß war der Felssporn - wie die anderen Hänge - von dichtem Wald bedeckt. Oben auf dem felsigen Grat aber erhoben sich rötliche Mauern und ein mächtiger quadratischer Turm.
Ja, das muss es sein, bestätigte Luciano. Wenn wir nur heute Morgen schon geahnt hätten, wie nah wir sind!
Auch dann wäre es nicht sinnvoll gewesen, bei Sonnenaufgang die Festung zu stürmen!, erinnerte Franz Leopold. Jetzt jedenfalls haben wir die ganze Nacht vor uns. Kommt, lasst uns die Fluchtburg des Meisters ein wenig in Augenschein nehmen.
Sie lösten sich von der Talsohle und flatterten dicht über den Baumwipfeln den Hang zu ihrer Rechten hinauf, um dann dem Grat zu folgen.
Da kommt keine Kutsche hinauf, ja nicht einmal ein Karren, meinte Alisa mit einem Blick auf den steilen Pfad unter ihnen. Und vermutlich auch kein Pferd, fügte sie hinzu. Ich frage mich, wie es ihm zu seinen Lebzeiten überhaupt gelungen ist, diese Festung zu bauen.
Na, selbst hat er die Steine sicher nicht den Berg hinaufgeschleppt. Entweder hat er sich ein Heer von Kriegsgefangenen besorgt oder sein Volk so gut im Griff gehabt, dass sie ihm diese Zuflucht bauten, meinte Franz Leopold.
Was mich viel mehr interessiert, ist, wer sich heute Nacht auf der Burg auf hält und ob wir tatsächlich vor ihm am Ziel sind. Luciano schlug hektisch mit den Flügeln.
Das werden wir gleich wissen. Franz Leopold beschleunigte seinen Flug und schoss den Freunden voraus, die Mühe hatten, ihn wieder einzuholen.
Pass auf. Wir dürfen nicht auffallen!, mahnte Alisa.
Wir sind Fledermäuse, gab Luciano zurück. Und wir hinterlassen in dieser Gestalt nicht einmal eine Fährte, sodass uns niemand aufspüren kann!
Das mag ja sein, aber es kann nicht schaden, achtsam zu bleiben und sich unauffällig zu verhalten. Wie ganz normale Fledermäuse.
Die sich hier in der Gegend vermutlich längst zu ihrem Winterschlaf zurückgezogen haben, erinnerte Franz Leopold .
Luciano fluchte vernehmlich. Dann müssen wir erst recht darauf achten, nicht entdeckt zu werden, egal in welcher Gestalt!
Ruhe jetzt!, rief Alisa. Der harsche Ton verriet ihre Nervosität.
Schweigend drehten sie eine Runde um die Festung. Nichts regte sich. So wagten sie, ihre Kreise immer enger zu schrauben, um einen Eindruck vom Bau der Burg zu bekommen.
Poienari war eine längliche, schmale Anlage, die sich entlang des
Felsengrats ungefähr in Ostwestrichtung erstreckte. Der Pfad zur Burg zog sich in steilen Serpentinen von Westen den Hang hinauf. Er endete an einer Spalte, die mittels einer Zugbrücke überwunden werden musste. Dann ging es noch einmal in einigen Felsstufen zum Tor hinauf, das von einem runden Turm bewacht wurde.
Die gesamte Südseite beherrschten eine mächtige Mauer und drei halbrunde Bastionen. Der untere Teil, der aus dem Fels zu wachsen schien, war aus grauem Bruchstein, den man vermutlich direkt aus dem Grat geschlagen hatte. Die obere Hälfte dagegen war aus roten Ziegeln aufgeschichtet. Hatte man diese einfacher hier herauftragen können? Vielleicht.
Die drei Fledermäuse wandten sich der Nordseite der Burg zu. Hier ragte der mächtige Donjon hinter dem Burgtor auf, an den ein kleineres Gebäude angebaut war. Dahinter erstreckte sich ein schmaler, ummauerter Hof mit der für Menschen so lebenswichtigen Zisterne. Dracula und seine Untoten hatten dafür sicher keine Verwendung mehr.
Plötzlich nahm Alisa eine Bewegung wahr. Da, seht! Am Eingang zum Wohnturm tut sich etwas. Was ist das? Ein Mann? Er scheint mir so klein und, ja, irgendwie missgebildet.
So kann man es sagen. Jedenfalls ist er ein Mensch. Sein Körper strahlt die warme Aura eines Menschen aus, fügte Franz Leopold an.
Also ein lebender buckliger Diener? Alisa flog vorsichtig tiefer, um die Gestalt näher in Augenschein zu nehmen. Er hatte recht hässliche Gesichtszüge und sein verwachsener Körper war kaum anziehender. Warum der Meister sich wohl solch einen Bediensteten ausgesucht hatte?
Der Bucklige
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