Die Erben der Nacht 04 Dracas
dann das Fechten, und ich behaupte mal, wir nehmen es mit dem Buckligen und den drei Grazien allemal auf!«
»Ich will Lucianos hohe Meinung von sich selbst nicht unnötig bestärken, aber in diesem Fall ist ängstliches Zögern fehl am Platz. Von allen Neulingen unter den Erben habt ihr euch am besten geschlagen und viel gelernt. Du darfst dir also ruhig ein wenig von Lucianos Selbstvertrauen aneignen. Das wird dir sehr nützlich sein, wenn es zum Kampf kommt.«
Alisa nickte noch immer ein wenig kläglich. »Ja, schon. Es sind aber gar nicht die vier, die mir wirklich Bauchschmerzen bereiten.«
Franz Leopold nickte. »Ja, ich weiß, und ich bilde mir auch nicht ein, den Meister mit seinem eigenen Schwert bekämpfen zu können. Für ihn müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen. Aber immer eines nach dem anderen.«
»Da fällt mir ein, dass wir noch nicht wissen, wo die drei Damen ihre Tage zubringen«, fiel Luciano ein. »Meint ihr, sie teilen sich das Himmelbett der verstorbenen Burgherrin?«
Alisa schüttelte vehement den Kopf. »Das glaube ich nicht. Ich bin mir sogar absolut sicher! Nein, ich würde eher vermuten, dass der Meister sie schrecklich strafen würde, wenn sie so ein Sakrileg begingen. Ihre Särge müssen woanders stehen. Zu dumm, dass wir sie nicht gefunden haben, denn ich kann mir ebensowenig vorstellen, dass sie den Küchenanbau mit dem Buckligen teilen. Außerdem standen dort in der Kammer nur ein Bett und ein paar völlig zugestaubte und von Spinnweben bedeckte Särge.«
»Sollen wir noch einmal losziehen?«, schlug Luciano vor.
Die anderen waren einverstanden. Sie wählten wieder die Fledermausgestalt und suchten jeden Winkel der Festung ab, konnten aber keine weiteren Särge finden, die so aussahen, als würden sie täglich benutzt. Sollten sie etwas übersehen haben?
Es ist doch wie verflucht!, schimpfte Luciano, aber sein Ärger half
nichts. Sie fanden in dieser Nacht weder die Ruhestätten noch trafen sie auf die drei Vampirinnen selbst, die vermutlich noch nicht von ihrem Ausflug zurückgekehrt waren. Schließlich gaben sie auf und zogen sich in die Höhle zurück. Im Dämmerlicht des heraufziehenden Tages übten sie auf Alisas Drängen noch einmal die wichtigsten Lektionen des Schwertkampfes. Franz Leopold gab den Lehrmeister und forderte seine beiden Freunde bis zum Äußersten. Er schenkte ihnen nichts und nutzte jede Lücke ihrer Deckung, auch wenn er es natürlich vermied, sie zu verletzen. Wie sehr sich doch diese Kampfübung von ihrem letzten Gefecht in Wien unterschied. Alisa wollte sich der Frage nicht stellen, ob sie Leo in ihrem Zorn tatsächlich den Degen ins Herz gestoßen hätte. Sie beschwichtigte sich mit der Überzeugung, dass er so viel besser focht und daher niemals in Gefahr gewesen war. An das, was danach zwischen ihnen passiert war, wollte sie schon gar nicht denken. Wie hätte sie sich sonst auf die Fechtübung konzentrieren können?
So übten sie, bis die Sonne ihre ersten Strahlen in den Himmel schickte. Auch wenn das Tal noch im Schatten lag, lähmte der beginnende Tag bereits ihre Bewegungen und ließ sie träge werden. Den Schwertknauf noch in der Hand, sank Alisa zu Boden. Die beiden Vampire konnten nicht anders, als ihrem Beispiel zu folgen.
CURTEA DE ARGEŞ
Die schwarze Kutsche mit den vier vorgespannten Rappen jagte über Land. Am Abend hatten sie Braşov hinter sich gelassen und folgten nun den kleinen Straßen, die sich die Hügel hinauf- und hinabwanden. Ivy wagte es, den Vorhang ein wenig zur Seite zu schieben. Die Wiesen und Felder um sie herum waren weiß. Allerdings schien die Schneeschicht nicht besonders dick zu sein, zumindest nicht auf der Straße, denn die Kutsche fuhr kaum langsamer als auf ihrer Fahrt aus Wien heraus. Ivy erwartete, dass es nun in die
Berge hinaufgehen würde, doch die weißen Gipfel blieben auf ihrer linken Seite und wanderten langsam am Fenster vorbei, immer im selben Abstand. Warum das? Lag die Festung nicht mitten in den Karpaten? Was hatte er vor?
Sie war nahe daran, ihn zu fragen, doch ihr Stolz hielt sie davon ab. Er sollte nicht glauben, dass sie auch nur einen Fingerbreit nachgeben würde!
So verstrich die Nacht, ohne dass sich etwas Außergewöhnliches ereignete oder dass sie den Bergen auch nur näher kamen. Endlich, als die letzten Nachtstunden anbrachen, bog die Kutsche nach Süden ab und die Straße begann anzusteigen. Die Pferde wurden langsamer, nicht nur des Berges wegen. Der Schnee türmte
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