Die Erben der Nacht 04 Dracas
sich immer höher auf, und Ivy fragte sich schon, wann sie stecken bleiben würden, als der Kutscher anhielt und vom Bock sprang. Er ging zu den Vorauspferden und führte sie einen schmalen Pfad entlang, der vor den Toren einer Scheune endete. Die großen Tore knarrten, dann führte er die Pferde samt Kutsche ins Innere. Aha, hier würden sie den Tag überdauern. Und dann? Wie würde es weitergehen?
»Geduld, meine Liebe, Geduld«, sagte der Meister mit einem Lächeln. »Du wirst alles beizeiten erfahren, wenn wir morgen auf Poienari eintreffen.«
Es war noch dunkel, als Bram Stoker und die Professoren van Helsing und Vámbéry Sibiu verließen. Erst allmählich hellte sich der Himmel von Osten her auf. Van Helsing hatte zwei große Kisten auf dem Dach der Kutsche festzurren lassen, deren Inhalt er am Abend zuvor in der Stadt erworben hatte. Bram fragte neugierig nach, doch van Helsing war nicht bereit, sein Geheimnis jetzt schon mit seinen Reisebegleitern zu teilen. Außerdem hatte er sich lange in der katholischen Kirche aufgehalten. Bram vermutete, dass er die Zeit nicht mit Beten verbracht hatte.
»Warten Sie es ab«, riet van Helsing. »Ich verrate nur so viel: Ich hege große Hoffnung, dass der Inhalt meiner Kisten dem großen Vampirmeister gar nicht gefallen wird.«
»So etwas habe ich bereits vermutet, aber wie genau wollen Sie ihm die Stirn bieten?«
Van Helsing lachte. »Sie sind ja beinahe so ungeduldig und neugierig wie ihr Mündel Latona.«
Leicht verstimmt versuchte Bram weiter, etwas aus van Helsing herauszubekommen, aber es half nichts. Er musste sich gedulden.
Die Räder der Kutsche holperten über die zerfurchte Straße. Der Kutscher hatte nicht zu viel versprochen. Zumindest in den ersten Stunden legten seine vier kräftigen Braunen ein gutes Tempo vor. Schnell merkten die drei Reisenden aber auch, dass diese Kutschfahrt nicht annähend so bequem war wie die mit der Eisenbahn. Immer wieder drohten sie vom Sitz geschleudert zu werden und mussten sich irgendwo festklammern.
»Na hoffentlich machen das die Räder und Achsen bis zu unserem Ziel mit«, brummte Professor Vámbéry. »Ich möchte nicht mit einem Achsenbruch im einsamen Olttal liegen bleiben.«
»Gott bewahre!«, stöhnte Bram bei dieser Vorstellung.
Es dauerte nicht mehr lange, bis sie auf den Fluss stießen, der sie auf ihrem Weg durch den Gebirgszug begleiten würde. Der Tag zog kalt und windig herauf, doch außer ein paar Schneeschauern war hier im Tal von dem Sturm, der auf den Bergen tobte, nichts zu spüren. So blieb die Straße leidlich frei und der Kutscher trieb seine Rösser immer wieder an. Bram ließ den Blick zu beiden Seiten die Berghänge hinaufwandern, die sich irgendwo in den fließenden Wolken auflösten. Keiner der Gipfel war zu sehen. Grau und trostlos zog sich der Weg dahin.
Sie waren bereits sieben Stunden unterwegs, als die Kutsche in einen kleinen Ort einfuhr und der Mann auf dem Bock das Gefährt in den Hof eines Gasthauses lenkte.
Bram öffnete den Schlag und sprang hinaus. »Was ist? Wir brauchen keine Pause. Wir sollten gleich weiterfahren, wenn wir unser Ziel heute noch erreichen wollen.«
»Sie brauchen vielleicht keine Pause, aber die Pferde«, widersprach der Kutscher. »Sie müssen ein paar Stunden ruhen. Ich habe aus ihnen herausgeholt, was ich konnte. Mehr geht nicht. Sehen Sie sich meine Rösser an. Bis ich wieder einspannen kann, ist es spät
am Nachmittag, und wir müssen jetzt in die Berge hinauf, um ins Tal des Argeş zu gelangen. Die Strecke ist zwar nicht lang, aber da geht es nicht so schnell vorwärts. Wir würden in die Nacht kommen. Das ist in den Bergen zu dieser Jahreszeit keinem zu raten.«
»Das darf doch nicht wahr sein«, schimpfte Bram. »Was nützt es uns, dass wir die vergangenen Stunden gut vorangekommen sind, wenn wir nun hier in diesem Nest festhängen?«
Professor Vámbéry mischte sich ein. »Können wir nicht einen Pferdewechsel vornehmen? Das Gasthaus hier scheint einen großen Stall zu haben, in dem vermutlich auch eigene Rösser oder Postpferde stehen. Sie können Ihre Braunen auf dem Rückweg wieder eintauschen.«
»Das geht schon, aber dafür müssen Sie extra bezahlen. Das war nicht im Preis enthalten.«
»Wenn wir dafür bis zum Abend im Tal des Argeş sind, zahlen wir diesen Aufpreis gern.«
Der Kutscher nickte, führte seine Pferde davon und machte sich dann zum Wirt auf, um nach geeignetem Ersatz zu suchen. Wie der ungarische Professor vermutet
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