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Die Erben der Nacht 04 Dracas

Die Erben der Nacht 04 Dracas

Titel: Die Erben der Nacht 04 Dracas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schweikert Ulrike
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Beide waren ganz zweifellos Menschen - ungebissen! Zumindest legte das der makellose Hals des Mädchens nahe.
    Ebenfalls ein wenig aus dem Gleichgewicht trat Alisa hinter Ivy auf die andere Seite des Wandschirms, wo sie ein nicht minder junges und hübsches Menschenmädchen in Empfang nahm und ihr aus ihrem Kleid half, um einen Traum aus fliederfarbener Seide über einer kleinen Tournüre anzuprobieren. Der Duft ihrer Haut und ihres Blutes stieg Alisa in die Nase und es fiel ihr schwer, ihre Sinne beisammenzuhalten und sich nicht an ihr zu vergreifen.
    »Wie haltet ihr das nur aus?«, fragte Alisa, als sie zwei Stunden später neu eingekleidet das Palais Coburg verließen. Die reizenden Näherinnen hatten es sich nicht nehmen lassen, die letzten Änderungen sofort vorzunehmen, als sie erfuhren, dass es noch an diesem Abend ins Burgtheater gehen sollte. Danach verließen sie zusammen mit den Schneidern unbehelligt das Palais Coburg, als seien die Dracas ganz normale Kunden der feinen Gesellschaft.
    »Wir sind ganz normale Mitglieder der Gesellschaft«, betonte Franz Leopold. »In einer Stadt wie Wien kann man nur unbehelligt leben, wenn man sich verhält wie sie und dazugehört. Das heißt, es kommen nicht nur Putzmacherinnen und Schneider ins Haus. Wir geben Soireen, sooft es der Anstand gebietet, und benehmen uns in der Öffentlichkeit so unauffällig oder besser gesagt so auffällig, wie es von Abkömmlingen eines alten Adelsgeschlechts erwartet wird. Falls es vorkommen sollte, dass Menschen in unseren Mauern ihr Blut oder gar ihr Leben verlieren, so stammen diese von den Vororten draußen - alleinstehende Männer und Frauen, die keiner vermisst, Wäscherinnen oder Arbeiter der Ziegeleien, Waisenkinder oder Grabennymphen. Sie werden ungesehen hereingebracht - und ihre Körper genauso ungesehen von unseren Servienten wieder entsorgt. Ich meine, früher haben wir das so gemacht, ehe die Dracas den Vertrag mit den anderen Clans schlossen.«

    »Ach, und wo entsorgt man in Wien unauffällig seine Leichen?«, fragte Alisa im Plauderton.
    Franz Leopold zeigte die Zähne. »Es fließt ein breiter Fluss dort in den Auen. Die Donau war stets bereit, alles Unliebsame mit sich zu nehmen. Zwar wurden einige der Leichen am Zusammenfluss des Kanals und des alten Donaubetts an Land gespült, doch dann fanden sie auf dem Friedhof der Namenlosen ein Grab. Identifiziert wurden sie nur selten. Und selbst wenn. Wie viele Unglückliche stürzen sich jedes Jahr freiwillig in die Fluten?«
    Während Luciano dem Gespräch interessiert folgte, sah Ivy sich immer wieder nach allen Seiten um, blieb ein wenig zurück und holte dann wieder auf.
    »Was ist? Vermisst du Seymour? Es ist doch nur für ein paar Stunden«, meinte Alisa.
    Ivy runzelte die Stirn. »Nein, das nicht. Ich habe nach den Raben gesehen. Nach diesen großen Tieren, die bereits bei unserer Ankunft über dem Anwesen kreisten. Sie sind wieder da. Dort drüben sehe ich zwei und auf der anderen Seite auf dem Dach drei. Ist es normal, dass Raben um diese Zeit noch unterwegs sind?«
    Franz Leopold zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Meist sieht man hier am Abend und in den frühen Morgenstunden die kleineren Krähen. Diese großen Raben sind mir bisher nicht aufgefallen. Ist ja auch egal. Was kümmern dich ein paar Vögel?«
    Noch während er sprach, erhoben sich einige der Raben, flatterten hoch über ihre Köpfe hinweg, querten die Straße und ließen sich dann zwischen den Statuen auf dem Dach des neuen Opernhauses nieder.
    »Haltet mich für überspannt, doch mir kommt es so vor, als würden sie uns folgen und uns beobachten.«
    Luciano lachte, doch dann sagte er ernst. »Warum befiehlst du nicht einen zu dir und fragst ihn ganz direkt? Ich wüsste kein Tier, das deinem Ruf widerstehen könnte.«
    Ivy nickte. »Ja, vielleicht sollte ich das.« Sie wandte sich dem nächsten Vogel zu, der sich auf dem Balkon im ersten Stock des neuen Hotels Sacher niedergelassen hatte, doch als sie die Hand nach ihm ausstreckte, schoss er kreischend davon. Mindestens ein
Dutzend der großen schwarzen Rabenvögel erhoben sich von den Gebäuden an der Straße und flogen hinterher.
    »War das nun ein Zufall?«, fragte Alisa ungläubig.
    »Das können wir nur hoffen. Ansonsten müssten wir ja annehmen, der Rabe habe sich absichtlich Ivys inquisitorischer Befragung entzogen«, gab Franz Leopold nachdenklich zurück. Ivy schwieg und schüttelte langsam den Kopf.
    Sie sprachen nicht mehr davon.

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