Die Erben der Nacht 04 Dracas
hochgehobenem Rock über den Platz laufen. Nun benimm dich wie eine Dame und bewahre Haltung! So viel werden wir nicht versäumen. Der erste Akt enthält selten große Höhepunkte.«
»Ich wusste nicht, dass die neuen Schuhe derart drücken, doch wie hätte ich die lindgrünen zu einem rosenfarbenen Kleid anziehen können? Ich musste mich noch einmal umkleiden«, erwiderte das Mädchen, das Alisa vielleicht auf sechzehn oder siebzehn Jahre schätzte.
Die Vampire setzten zum Überholen an, zügelten ihre Schritte jedoch so weit, dass sie nicht unangenehm auffielen. Verstohlen warf Alisa dem Mädchen einen Blick zu. Ein reizendes Profil enthüllte sich unter dem keck dekorierten Hütchen, das natürlich farblich auf den Rest der Abendtoilette abgestimmt war.
Die Vampire hatten die Damen gerade passiert, als etwas klappernd zu Boden fiel. Alisa wandte sich um und sah, dass sich Luciano bereits nach dem Gegenstand bückte. Der Nosferas verbeugte sich vor dem Mädchen.
»Fräulein, entschuldigt bitte. Ihr habt etwas verloren.«
Das Mädchen wandte sich ihm zu und Luciano reichte ihr den zarten Fächer aus elfenbeinfarbener Spitze.
»Oh, ich danke Ihnen, mein Herr. Das ist sehr aufmerksam.«
Sie griff nach ihrem Fächer, den Luciano noch immer festhielt. Alisa hatte den Eindruck, ihre Hände würden sich berühren, denn das Mädchen zuckte trotz ihrer Spitzenhandschuhe ein wenig zusammen.
»Luciano de Nosferas, Ihr ergebenster Diener, Fräulein«, sagte er mit einer erneuten Verbeugung, ehe er das Beutestück endlich losließ.
»Clarissa von Todesco. Und das ist meine Tante Frau von Gomperz«, stellte sich nun auch das Mädchen vor. Vielleicht hatte sie noch mehr sagen wollen, doch die besagte Tante nahm das Mädchen beim Arm, verabschiedete sich mit einem Kopfnicken und geleitete es durch die Eingangstür. Luciano starrte ihnen nach, bis sie seinen Blicken entschwunden waren.
Alisa, Ivy und Luciano ließen sich zu ihrer Loge führen und nahmen auf den etwas abgewetzten Samtsesseln Platz. Wie Franz Leopold vermutet hatte, nahm die schöne Kaiserin nicht an der Aufführung teil. Dafür saß ihr Gemahl Franz Joseph in der Loge der kaiserlichen Familie. Sein weißer Schnauzer und der lange Backenbart ließen ihn älter aussehen, als er war. Oder lag es an der gebeugten Haltung, als ob er nicht mehr gut sehen oder hören könnte? Wie üblich trug er seinen geliebten hellblauen Uniformrock mit den Orden.
Erstaunlicherweise saß Kronprinz Rudolf an seiner Seite und daneben eine junge Dame, die sich sichtlich langweilte. Auch der Kronprinz wirkte nicht gerade amüsiert. Vielleicht hatte es wieder ein Zerwürfnis zwischen ihm und seinem Vater gegeben? Es war ja allgemein bekannt, dass der Kronprinz nichts von den ihm antiquiert erscheinenden Regierungsprinzipien seines Vaters hielt, während der Kaiser die liberalen Kreise, in denen der Prinz verkehrte, verabscheute.
Luciano interessierte das alles nicht. Er war gedanklich noch bei seiner Begegnung vor dem Theaterhaus. »Ich wollte sie noch fragen, ob sie hier aus Wien ist.«
»Warum?«, erkundigte sich Alisa.
»Warum nicht?«, entgegnete Luciano ausweichend.
»Vielleicht weil er denkt, sie würde einen appetitlichen Happen abgeben?«, schlug Franz Leopold vor. Luciano schnaubte abfällig.
»Aber ich will deine Neugier befriedigen. Der Name Todesco stinkt nach viel Geld und neuem Adel und nach mangelndem gesellschaftlichem Schliff. Oder formulieren wir es anders: Der
Intellekt Freiherr Eduard von Todescos hält nicht mit seinem wachsenden Vermögen Schritt.«
»Wie üblich übertriffst du dich wieder einmal selbst in deinen niederträchtigen Verleumdungen«, ereiferte sich Luciano.
»Denke, was du willst. Das ist nichts als die Wahrheit.« Demonstrativ wandte sich Franz Leopold dem Geschehen auf der Bühne zu. Und auch Ivy und Alisa folgten gespannt dem Verlauf des Schillerdramas »Kabale und Liebe«, das heute gegeben wurde. Alisa, die das Stück kannte, berichtete den anderen in wenigen Worten, was sie bislang versäumt hatten.
»Das ist Präsident von Walter, der nicht will, dass sein Sohn Ferdinand seine große Liebe Luise, Tochter des Musikers Miller, heiratet. Er strebt eine Verbindung mit Lady Milford an, der Mätresse des Herzogs, um seinen eigenen Einfluss bei Hof zu vergrößern.«
»Das scheint nicht im Sinn des Sohnes zu sein«, bemerkte Luciano, der den nächsten Dialog zwischen dem jungen Paar auf der Bühne verfolgte.
Alisa schüttelte den
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