Die Erben der Nacht 04 Dracas
jede Wette ein, dass du es mit jedem Dracas aufnimmst.«
»Ich weiß nicht, aber das gehört ganz sicher zu den Gedanken, die man hier nicht hegen sollte. Es würde zu viele Fragen aufwerfen. Eine kleine Lycana mit solchen Kräften?«
Alisa schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund. »Ich hätte nicht gedacht, dass es hier so kompliziert wird. Ständig muss man auf der Hut sein.«
»Ja, vor allem muss euch bewusst sein, dass der Angegriffene oft gar nichts davon bemerkt«, fügte Franz Leopold hinzu. »Ich kann euch nur warnen. Es gibt hier im Haus mehr Dracas, als uns lieb sein kann, die diese Fähigkeit beherrschen.«
»Kannst du das inzwischen auch?«, fragte Luciano misstrauisch.
Franz Leopold lächelte liebenswürdig. »Hast du Angst, ich würde von deinen Liebesnöten erfahren? Die sind mir längst bekannt! Du bist einfach zu unvorsichtig. Ich meine, nicht dass mich deine kleinen Sorgen und Nöte wirklich interessieren, aber du bietest dich geradezu an, um nicht aus der Übung zu kommen. Doch um deine Frage zu beantworten: Nein, wenn mein Gegenüber aufmerksam ist, dann schaffe ich es nicht, unbemerkt in seine Gedanken einzudringen. Nur wenn jemand so nachlässig vor sich hinträumt, wie du das zu tun pflegst.«
Sie betraten den Blauen Salon, der wie der Ballsaal in der Beletage zur Gartenseite zeigte und durch seine beiden hohen Rundbogenfenster einen wundervollen Blick über die Gartenbauanlage und die Ringstraße bis hinüber in den Stadtpark bot. Seinen Namen hatte er von den blauen Damasttapeten, die einige Landschaftsgemälde zierten. Der Salon hatte den gleichen schön gemusterten Parkettboden aus hellen und dunklen Ornamenten wie das anschließende große Konversationszimmer, das auch Gelber Salon genannt wurde. Hier hatten sich einige der Dracas versammelt, während durch die weit geöffneten Flügeltüren, die auf die Veranda führten, die kühle Luft des frühen Morgens hereinströmte. Eigentlich hätten die Erben vom Ballsaal auch den direkten Weg durch den Gelben Salon nehmen können. Man hatte ihnen von Seiten der Dracas jedoch deutlich klar gemacht, dass diese nicht vom Anblick der fremden Erben gestört zu werden wünschten. Ja, man ließ sie immer wieder spüren, dass sie hier im Palast der Dracas nicht so willkommen waren wie vielleicht bei anderen Clans, doch die Erben nahmen die Feindseligkeit gelassen hin.
Erwartungsvoll nahmen die jungen Vampire auf den bereitgestellten Stühlen Platz. Der Altehrwürdige Guntram erwartete sie bereits. Er war völlig kahl, wirkte ansonsten aber eher harmlos. Er begrüßte die Erben sogar mit einem Lächeln, was Alisa mehr irritierte als erfreute.
»Da ist doch was faul«, murmelte sie.
»Warum immer so misstrauisch«, gab Ivy leise zurück.
Der Dracas räusperte sich und ergriff das Wort. »Baron Maximilian
und Baronesse Antonia sind sich einig, dass eure Ausbildung möglichst umfassend und vielseitig sein sollte. Daher haben sie mir aufgetragen, euch unsere schöne Sprache zu lehren. Also fangen wir gleich an.«
Er sprach ein paar Sätze in der alten Sprache, die allen Vampiren geläufig war, und wiederholte sie dann auf deutsch mit seinem wienerischen Akzent, gemischt mit ein paar Begriffen, die Alisa nicht geläufig waren.
Die Vamalia blinzelte verdattert. »Das ist aber jetzt nicht sein Ernst? Er will uns Deutsch beibringen?«
Ivy unterdrückte einen Seufzer. »Offensichtlich.« Angesichts Alisas entsetzter Miene musste sie lachen.
»Ich finde das nicht lustig! Ich will etwas Richtiges lernen. Nichts gegen Fechten und Tanzen, aber jetzt müssen sie uns doch mal etwas beibringen, das uns wirklich weiterbringt!«
Ihre Stimme war immer lauter geworden, sodass sie nun alle anstarrten.
»Äh, Fräulein, ist etwas nicht klar?«, erkundigte sich der Altehrwürdige. »Soll ich den Satz noch einmal wiederholen?«
»Nein, nicht nötig! Ich bin der deutschen Sprache durchaus mächtig!«, schnappte sie zornig, ohne sich darum zu kümmern, dass ihr Ton einem Altehrwürdigen gegenüber nicht angemessen war. Und in Gedanken fügte sie hinzu: und bestimmt besser als alle Wiener zusammen mit ihrem seltsamen Dialekt!
Der Altehrwürdige blieb zu ihrer Überraschung freundlich. »Ah, ich höre an deiner Aussprache, du bist eine Vamalia. Ich denke, euch kann ich vom Unterricht freisprechen. Und natürlich auch Marie Luise, Karl Philipp und Franz Leopold. Ihr könnt gehen. Die anderen dagegen bitte ich um Aufmerksamkeit. Sprecht mir folgende Worte
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