Die Erben der Nacht 04 Dracas
Philharmoniker, aus deren Mitte die Musiker stammen, sind auch nur ein Orchester von Menschenhand.«
Alisa starrte ihn an, dann lief sie auf ihn zu und legte ihre Hände auf die seinen.
»Entschuldige. Ja, ich freue mich auf die Oper und ich danke dir, dass du daran gedacht hast. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.«
»Ich weiß. Eine Vamalia kann eben auch nicht aus ihrer wissbegierigen Haut.«
Für einen Moment sahen sie einander nur an und vergaßen Luciano, Ivy und Seymour, bis sich der Nosferas räusperte.
»Äh, ich glaube, wir sollten uns zum Ballsaal aufmachen. Es ist Zeit und so wie ich die Tanzmeisterin einschätze, ist es keine gute Idee, zu spät zu kommen.«
Sie übten zunächst einige Figuren zum Kotillon, der in Gruppen getanzt wurde und immer den Höhepunkt eines Tanzabends bildete. Die Tanzmeisterin erklärte ihnen, dass die Herren den von ihnen erwählten Damen kleine Blumensträuße überreichten, ehe sie sie zum Tanz führten. Es war üblich, dass sich die Herren zu Beginn des Balls in die Tanzkarten der Damen eintrugen, die sie in den Saal führen wollten. Ein Ball bei Hof unterlag den strengen Vorschriften des spanischen Hofzeremoniells. Alles war minutiös geplant. Jeder Tanz musste dem Zeremonienmeister im Voraus in seiner exakten Länge bekannt sein. Den Kapellmeistern war jede Abweichung untersagt. Bei Hausbällen oder den Redouten, bei denen die Tänzer sich maskierten, waren die Regeln weniger streng.
Nach dem Kotillon sprach die Tanzmeisterin endlich das Zauberwort, auf das nicht nur Alisa sehnsuchtsvoll gewartet hatte.
»Kommen wir zum Walzer!«
Zuerst wurde ihr Mervyn als Partner zugeteilt. Er machte seine Sache gar nicht so schlecht, auch wenn er mit seinen Gedanken woanders zu sein schien. Die geistreiche Konversation, wie sie die Tanzmeisterin für unerlässlich hielt, ließ er jedenfalls ausfallen. Sein Blick irrte über ihre Schulter hinweg. Alisa verrenkte sich den Hals. Wem sah er da ständig hinterher? Alisas Blick fiel auf Marie Luise mit Raymond. Nein, das konnte nicht sein. Bei aller Schönheit konnte sich kein vernünftiger junger Vampir in diese Keifzange verlieben! Alisa war irritiert. Wieder versuchte sie seinem Blick zu folgen, der dieses Mal auf Rowena traf. Aha. Das war schon eher möglich - oder doch nicht? Ausgerechnet eine Vyrad? Wo doch die Engländer und die Iren einander fast so spinnefeind waren wie die Franzosen und die Deutschen? Anderseits trieb sich ihr Bruder bereits von Anfang an mit den Pyras herum und hatte sie zu seinen besten Freunden erkoren. Warum also nicht auch Mervyn und Rowena. Was aber würden ihre Familien davon halten?
Sie würden sich fügen müssen. Und überhaupt. War das nicht der eigentliche Hintergedanke bei der ganzen Akademiegeschichte? Zum ersten Mal kam ihr das so deutlich in den Sinn.
Natürlich wollten sie alle ihre eigenen Erben stärken. War aber nicht das größte Problem, dass die Linien zu lange unter sich geblieben waren und sie nun keinen Nachwuchs mehr zeugen konnten? Dekadent und degeneriert. Wie eifrig betonten alle, die Zukunft liege in ihren Erben. Nun erst wurde Alisa bewusst, was das eigentlich bedeutete. Sie, die Erben aller Clans, mussten für frisches Blut sorgen und für eine neue, starke Blutlinie. Der Gedanke schreckte und erregte sie gleichermaßen. Seit Langem dachte sie wieder einmal an ihre Mutter, die sie und Tammo geboren hatte. Wer ihr Vater war, wusste Alisa nicht. Ja nicht einmal, ob es ein-und derselbe Vampir war.
Vampire verhielten sich nicht wie Menschen, die Ehen eingingen und einander treu blieben - zumindest mehr oder weniger. Manche der anderen Erben wussten nicht einmal, wer ihre leibliche Mutter war. Sie nannten sich untereinander Cousin und Cousine, denn verwandt waren sie auf jeden Fall miteinander. Die jungen Vampire wurden vom Clan gemeinsam aufgezogen. Die Vater- oder Mutterstelle für ihre Erziehung nahm das Clanoberhaupt ein. Dame Elina hatte sich deutlich mehr um die jungen Vamalia gekümmert als die Vampirin, die sie geboren hatte, und Alisa hatte zu ihr eine engere Bindung. An ihre richtige Mutter dachte sie fast nie.
Die letzten Töne des Walzers verklangen. Mervyn ließ sie los, trat einen Schritt zurück und verbeugte sich vor ihr. Partnerwechsel. Alisa schielte Mervyn nach, und richtig. Er stand so unvermittelt vor Rowena, dass kein anderer eine Chance hatte, diesen Tanz mit ihr zu ergattern. Alisa grinste. Also doch.
»Oh nein, muss das sein?« Eine
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