Die Erben der Nacht 04 Dracas
sollten die Führer aller Clans wissen.«
Luciano blinzelte und starrte sie verdutzt an. »Wovon sprichst du?«
»Von dem Artikel, den du gerade liest. Wovon sonst? Was glaubst denn du, wer dafür verantwortlich ist? Ich weiß zwar nicht, welche Dracas sich zu diesen Taten haben hinreißen lassen, doch denkst du allen Ernstes, ein Mensch würde dahinterstecken?«
Luciano wurde klar, dass sie nicht vom gleichen Artikel sprachen. Er ließ den Blick über das Zeitungsblatt schweifen, bis ihm die Schlagzeile ins Auge sprang.
Wieder ein bestialischer Mord in Wien. Die Polizei tappt im Dunkeln.
Wie hatte er das übersehen können? Lucianos Blick huschte über die Zeilen. Er verstand zwar nicht jedes Wort, dazu war sein
Deutsch noch nicht gut genug, den Sinn jedoch konnte er erfassen. Bereits drei Morde waren in der vergangenen Woche in Wien verübt worden und sie zeichneten sich durch außergewöhnliche Grausamkeit aus. Oder genauer gesagt durch die ungewöhnlichen Wunden, die an den Leichen gefunden worden waren. Bisswunden, ähnlich denen eines Raubtieres. Alle drei Opfer waren verblutet. Das erste, ein junger Mann, hatte man vergangene Woche am Eingang zum Währinger Friedhof gefunden, die zweite Leiche - eine stadtbekannte Grabennymphe - vor einigen Tagen am alten Fleischmarkt am Fuß der Bastei, auf der sich die Albertina erhob. Das heutige Opfer war eine ältere Frau, die im Stadtpark zu Tode gekommen war. Die Polizei tappte im Dunkeln und hatte noch keine heiße Spur.
»Ach, diesen Artikel meinst du.« Seine Stimme klang eher desinteressiert.
»Ja«, gab Alisa scharf zurück. »Was hat denn deine Aufmerksamkeit dermaßen gefesselt, dass du diese Schlagzeile übersehen konntest?«
Luciano versuchte ihr die Zeitung aus der Hand zu nehmen, doch er war nicht schnell genug. Mehrmals ließ sie ihren Blick die Seite hinauf- und hinunterwandern, ohne dass sie erkennen konnte, was Luciano gelesen haben mochte. Da mischte sich Franz Leopold ein.
»Luciano ist sehr interessiert an der Familie von Todesco«, bemerkte er süffisant.
Todesco? Hatte sie diesen Namen nicht schon einmal gehört? Etwas dämmerte in ihrer Erinnerung.
»Todesco«, wiederholte sie laut. »Das Mädchen mit dem Fächer im Burgtheater?« Luciano schwieg hartnäckig. Nun war sich Alisa sicher.
»Du denkst tatsächlich noch immer an dieses Mädchen?«
»Sie heißt Clarissa!«, stieß Luciano hervor. Er erhob sich und ging hinaus.
Alisa war für einen Moment sprachlos. »Sollte ich mir Sorgen machen?«, murmelte sie, und als sie die Lider hob, traf ihr Blick Franz Leopolds. Der nickte langsam.
»Ja, das kann in diesem Fall nicht schaden.«
Als sie später gemeinsam zur Oper schlenderten, kehrten Alisas Gedanken noch einmal zu ihrer Zeitungslektüre zurück. Über Lucianos Herzensangelegenheiten hatte sie die brutalen Morde ganz vergessen. Plötzlich fragte sich Alisa, ob Franz Leopold absichtlich davon abgelenkt hatte, um sich nicht den Ungeheuerlichkeiten stellen zu müssen, die Mitglieder seiner Familie angerichtet hatten. Und das gegen die Abmachung aller Clans! Die Dracas brachten alle Vampire in Gefahr, wenn sie so leichtfertig mordeten. Sie verhielten sich noch schlimmer als die Pyras!
»Bisse wie von einem Raubtier und dann verblutet? Gibt es denn gar keine andere Möglichkeit, als den Täter in meiner Familie zu suchen?«, kommentierte Franz Leopold wieder einmal ihre Gedanken.
»Ach ja. Wer sollte das denn gewesen sein? Ein wild gewordener Schoßhund?«, konterte Alisa.
»Vielleicht ein wild gewordener Wolf? Oder genauer gesagt ein Werwolf? Hatten wir nicht gerade Vollmond? Ist es da nicht schlecht bestellt um die Beherrschung ihrer Triebe?«
Seymour knurrte und entblößte drohend seine Reißzähne. Er hatte dieses Mal darauf bestanden, sie wenigstens bis zur Oper zu begleiten. Dann wollte er mit Matthias und Dario draußen warten.
»Soll mich diese Geste etwa vom Gegenteil überzeugen?«, fragte Franz Leopold kühl.
Ivy schreckte hoch. »Du verdächtigst allen Ernstes Seymour, diese Morde begangen zu haben?«
»So ernsthaft, wie ihr bemüht seid, meiner Familie die Schuld unterzuschieben! Wir Dracas ziehen nachts nicht durch Wien und zerfleischen Bürger. Glaubt ihr, wir haben uns hier in die oberste Gesellschaft eingeführt, um dann alles mit solchen Wahnsinnstaten zu zerstören?«
»Du hast aber am ersten Tag, als du uns durch die Kasematten geführt hast, selbst zugegeben, dass ihr in eurem Haus Menschen tötet und die
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