Die Erben der Nacht 04 Dracas
Eröffnung formuliert?«
»Aber gern!« Ivy strahlte ihn an. »Lass uns unter die Menschen gehen. Die Wiener Gesellschaft aus nächster Nähe erleben.«
Sie schlenderten zum großen Foyer, dessen offene Flügeltüren zur Loggia hinausführten. Die Luft war bereits herbstlich kühl, doch nicht so kalt, dass man die Türen hätte schließen mögen. Franz Leopold schritt mit den beiden Vampirinnen voran, Luciano folgte ihnen. Ausnahmsweise störte es ihn nicht, dass der Dracas auch Ivy mit sich fortführte. Es war ihm sogar ganz recht.
»Ihr entschuldigt mich? Ich bin rechtzeitig zum nächsten Akt zurück.«
Noch ehe einer der drei reagieren oder ihn gar zurückhalten konnte, war er in der Menge festlich gekleideter Menschen untergetaucht. Er wusste nicht genau, wo er suchen sollte, strebte aber erst einmal das Foyer auf der gegenüberliegenden Seite des Opernhauses an, zu dem sich die Logen dort öffneten. Sein Instinkt würde ihn dann schon führen.
Doch ganz so einfach war es nicht, unter den fast dreitausend Besuchern, die sich in den Räumen drängten, eine Einzige zu finden. Luciano begann schon an seinem Instinkt zu zweifeln, als er unvermittelt vor ihr stand. An ihrem beschleunigten Atem merkte er, dass auch sie nach ihm Ausschau gehalten hatte.
»Was für ein freudiger Zufall, Sie hier zu sehen. So alleine, Fräulein Clarissa?« Luciano versank in eine tiefe Verbeugung. Das Mädchen deutete seinen Knicks lediglich an, während sein Blick unstet davonhuschte.
»Ludwig ist sicher gleich zurück. Er wollte mir ein Glas Limonade bringen«, sagte sie mit einem unsicheren Lachen.
Luciano folgte ihrem Blick, bis er den jungen Mann entdeckte,
den er an ihrer Seite in der Loge gesehen hatte. Wieder drohte die Eifersucht ihn zu verschlingen, als er stutzte. Sein Blick huschte von Clarissas Begleiter zu ihr selbst und wieder zurück. Die Züge ähnelten einander. Unverkennbar.
»Er ist Ihr …?«
»Bruder«, vervollständigte das Mädchen, dem diese Feststellung anscheinend genauso wichtig war. »Mein älterer Bruder Ludwig, der sich heute herabgelassen hat, mich in die Oper zu begleiten, obgleich ihm - wie er es ausdrückt - der Sopran schrecklich an den Nerven zerrt.« Sie lächelte scheu.
»Ich habe heute gar nichts von der Oper mitbekommen«, gestand Luciano. »Ich musste ständig zu Ihnen hinübersehen.« Errötend senkte Clarissa den Kopf.
»Ach, verzeihen Sie. Ich bringe Sie in Verlegenheit. Das tut mir leid. Sie müssen mich für einen aufdringlichen Kerl halten, doch ich schwöre Ihnen, dies ist sonst nicht meine Art. Ich weiß auch nicht, was so plötzlich über mich gekommen ist. Haben Sie einen Zauber über mich geworfen, als ich Ihnen Ihren Fächer reichte und unsere Hände sich berührten?«
»Sie bezichtigen mich der Hexerei?«
Oh nein, er hatte schon wieder etwas Falsches gesagt. »Nein, das würde mir niemals in den Sinn kommen …« Er brach ab, als er ihr Lächeln sah.
»Ich denke eher, das Gegenteil ist der Fall, Herr von Nosferas - Luciano«, fügte sie nach einem kurzen Zögern hinzu. Sie hatte sich seinen Namen gemerkt! » Sie haben mich verzaubert, sodass ich wieder und wieder an Sie denken muss.«
Der Augenaufschlag war bewusst eingesetzt. Doch gerade die Mischung aus Unschuld und Raffinesse raubte ihm den letzten Rest an Selbstbeherrschung. Er wäre bereit gewesen, sie auf der Stelle aus der Oper zu entführen.
In diesem Augenblick kehrte ihr Bruder mit zwei Gläsern in der Hand zurück und stutzte, als er Clarissa neben einem jungen Mann stehen sah. Luciano erschrak, aber Clarissa hatte bereits so viel gesellschaftlichen Schliff, dass sie dankend ihr Glas entgegennahm und Luciano ihrem Bruder vorstellte, ehe der seine kritische
Musterung beendet hatte. Die beiden Männer begrüßten sich steif. Luciano schätzte ihn auf Mitte zwanzig.
»Ich habe Luciano über Tante Helene kennengelernt«, schwindelte Clarissa. Nun ja, so ganz gelogen war es nicht. Zumindest war die Tante bei ihrer ersten Begegnung anwesend gewesen. Allerdings hoffte Luciano, dass Ludwig Frau von Gomperz nicht auf ihren Bekannten aus Rom ansprechen würde. Immerhin verlosch für den Augenblick das kriegerische Funkeln in Ludwigs Augen, das durch den Anblick seiner Schwester in Gesellschaft eines fremden Mannes entfacht worden war. Dennoch war Ludwig nicht bereit, den beiden ein ungestörtes Tête-à-Tête zu gönnen. So machte Luciano bemüht Konversation, während sein Blick sich nicht von dem Mädchen
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