Die Erben der Nacht 04 Dracas
dass sich van der Nüll bereits erhängt hat«, spottete Franz Leopold.
Die vier Vampire nahmen in ihrer Loge Platz und sahen sich neugierig um. Alisa, die bis jetzt geschwiegen hatte, platzte nun heraus: »Und was sind die großen technischen Neuheiten, die die Baumeister in der Oper verwirklicht haben?«
Franz Leopold grinste. »Ah, ich habe mich schon gefragt, wie lange du dein strafendes Schweigen noch durchhältst. Also, außer der Eisenkonstruktion haben sich die Erbauer vor allem mit der Sicherheit der Opernbesucher befasst.«
»Dass ihnen der mächtige Kronleuchter nicht auf den Kopf fällt?« Luciano zeigte zur Decke. »Der ist ja riesig! So etwas habe ich noch nicht gesehen.«
»Nein, sie haben sich vor allem mit der möglichen Brandgefahr befasst. In den Kästen dort über dem Orchestergraben ist die Bühnenbeleuchtung untergebracht. Soffitten nennt man diese Gaslampen. Und die vielen Kulissen, die über und unter der Bühne gestapelt sind, können leicht Feuer fangen. Erst vor einigen Monaten ist in Nizza ein Theater niedergebrannt und hat zahllose Opfer gefordert. Das will man in Zukunft verhindern. Deshalb sind die Bühne und der Zuschauerraum zwei eigenständige Gebäude, und wenn nicht gerade die Aufführung im Gange ist, schließt eine Drahtcourtine, also eine Art eiserner Vorhang, die Bühne ab. Es gibt doppelte Außenwände mit einem Gang dazwischen und Anschlüsse für Löschwasser. Dieses kommt von einem Reservoir auf dem Dach, damit es genug Druck in den Schläuchen gibt. Außerdem sind in den Gängen und über den Türen Öllampen angebracht. Wenn also das Gas abgestellt wird oder die Leitungen nicht mehr funktionieren, sind alle Wege dennoch erhellt. Und es gehen alle Türen nach außen auf.«
»Sie haben wirklich an alles gedacht.« Alisa nickte beeindruckt.
»Frische Luft wird übrigens beim Burggarten angesaugt und über einen Tunnel hergeleitet. Nur eines haben die Erbauer nicht bedacht.« Franz Leopold grinste breit. Alisa sah ihn fragend an.
»Zu manchen Zeiten ist es zu kalt in der Oper. Anscheinend ist es nicht so einfach, die richtige Temperatur hinzubekommen, bei der sich Menschen wohlfühlen. Und so entschloss sich die Direktion, ein Regiment der k. k. Armee zu ordern, die tagsüber drei Stunden im Zuschauerraum Platz nehmen, bis ihre Körper genügend Wärme abgegeben haben.«
Alisa lachte. Ivy schüttelte ungläubig den Kopf. »Du nimmst uns auf den Arm!«
Franz Leopold feixte. »Nein, ich schwöre es. Genau so funktioniert die Heizung in diesem modernsten aller Opernhäuser.«
Der Vorhang hob sich und die Oper begann. Ivy, Alisa und Franz Leopold richteten ihre Aufmerksamkeit auf das Bühnengeschehen. Nur Luciano war abgelenkt. Sein Blick war starr auf die gegenüberliegende Seite der Oper gerichtet. Träumte er oder durfte er seinen Augen trauen? Da saß Clarissa in einem wunderschönen rosafarbenen Kleid, die Locken kunstvoll frisiert, und sah mit ihrem Opernglas zur Bühne. Plötzlich durchlief ein Schauder ihren Körper. Langsam wie unter Zwang wandte sie sich zur Seite. Der Blick durch das Glas huschte die Logen entlang, bis sie gefunden hatte, was sie suchte. Ein zauberhaftes Lächeln erhellte ihre Miene. Sie ließ das Glas sinken und sah quer über den Zuschauerraum zu Luciano hinüber. Sie hob ihre Hand, die in einem weißen Seidenhandschuh steckte. Der Nosferas grüßte zurück.
Da beugte sich der junge Mann im Sitz daneben zu ihr herüber und fragte sie etwas. Clarissa wehrte ab und wandte sich betont wieder der Bühne zu.
Der heiße Strahl der Eifersucht loderte mit verheerender Kraft in Lucianos Brust auf. Am liebsten wäre er aufgestanden und zu der Loge gestürmt, um dem Kerl die Kehle aufzureißen. Allerdings war sein Verstand noch präsent genug, um ihn zu fragen, ob das Clarissa gefallen würde und ihm außerdem nicht Schwierigkeiten mit den Dracas einbrächte. Nun wandte auch Luciano seinen Blick zur Bühne, doch er bekam nichts davon mit, was sich dort ereignete. Die Musik und der Gesang von Mozarts »Don Giovanni« rauschte
an ihm vorbei. Er erschrak gar, als sich der Vorhang senkte und der Applaus aufbrandete.
»Siehst du, jetzt lassen sie auch gleich den eisernen Vorhang herunter«, kommentierte Alisa. Sie erhoben sich. Franz Leopold bot Alisa den einen, Ivy seinen anderen Arm.
»Wollen wir in den luftigen, geschmackvollen Foyers und den breiten, bequemen Gängen flanieren - so hat es ein Journalist der Neuen Freien Presse anlässlich der
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