Die Erben der Nacht 04 Dracas
beherrschen lassen, gehört auch zum Erwachsenwerden.«
»Du hast gut reden«, schmollte Luciano. »Wenn ich die ersten einhundert Jahre auf dem Buckel habe, dann bin ich vielleicht auch so abgeklärt wie du.«
Ivy lächelte ein wenig gequält. »Ja, vielleicht.«
»Seid ihr denn von allen Geistern der Hölle verwirrt?«, schrie Tonka außer sich vor Zorn. Sie fauchte und bleckte die Zähne. Sie sah so wild aus, dass die anderen Upiry, die sich auf ihren Ruf hin wieder in der Michaelergruft versammelt hatten, ein wenig zurückwichen. Sie war in ihrer Wut durchaus in der Lage, einen Unreinen so zu zerfetzen, dass er sich nicht wieder regenerieren konnte. So etwas war schon vorgekommen. Aurica ließ Tonka nicht aus den Augen und stolperte rückwärts über einen Sarg. Die morschen Bretter zerbarsten und die Unreine fand sich zwischen staubigen Hobelspänen und Knochen wider. Als sie sich aufrappelte, kippten noch ein paar Särge um und entleerten ihren Inhalt auf den gestampften Boden aus Lehm und menschlichen Überresten.
»Was denkt ihr euch eigentlich? Habe ich euch nicht eingeschärft, auf jeden eurer Schritte achtzugeben, damit die Dracas nichts von unserer Anwesenheit bemerken? Selbst die Raben haben meine
Worte verstanden und halten sich nun bei ihren Beobachtungen verborgen.
»Wir haben doch darauf geachtet, dass uns keiner der Dracas zu Gesicht bekommt«, verteidigte Válav sich selbst und die anderen. »Ja, wir haben gar vermieden, zu viel zu denken, damit sie nicht etwa einen unserer Gedanken auffangen.«
»Dass ihr hirnlos durch die Gegend gezogen seid und nichts gedacht habt, ist mir schon aufgefallen - spätestens seit die Zeitungsverkäufer die Schlagzeilen durch die ganze Stadt schreien! Bestialische Morde. Opfer mit Bisswunden übersät und verblutet. Wie könnt ihr nur so blöd sein? Meint ihr, die Dracas bekommen so etwas nicht mit? Selbst wenn sie keine Zeitung lesen: Sie sind weder blind noch taub. Sie gehen unter die Menschen, ins Theater, auf Bälle und Abendgesellschaften, wo diese Morde das Gesprächsthema Nummer eins sein werden.«
»Die Polizei hat noch keine Spur, sagen die Zeitungsverkäufer«, wagte Branko einzuwerfen, bereute es aber sogleich, Tonkas Aufmerksamkeit auf sich gezogen zu haben. Sie stürmte auf ihn zu. Branko blinzelte kurz, wich aber nicht zurück.
»So, die Polizei hat noch keine Spur!« Speichel sprühte ihm ins Gesicht, doch er unterdrückte den Impuls, den Abstand zu ihr zu vergrößern. Außerdem stapelten sich hinter ihm die Särge, die bei einer unkontrollierten Bewegung allesamt in sich zusammenzustürzen drohten.
»Die Polizei der Menschen? Soll mich das jetzt beruhigen? Es ist mir gleichgültig, was die Menschen denken. Wichtig ist, welche Schlüsse die Dracas daraus ziehen. Wie lange werden sie wohl brauchen, bis ihnen der Einfall kommt, dass es sich nicht um einen menschlichen Mörder handelt? Wer könnte denn dann dafür verantwortlich sein? Hm, lasst mich überlegen. Im Namen der Hölle, vielleicht gar ein Vampir?«
»Sie werden in ihren eigenen Reihen suchen«, meldete sich Málka zu Wort. »Warum sollten sie auf uns kommen? Ist es nicht naheliegender, dass einer der Ihren von seiner Blutlust übermannt wurde?«
Tonka nickte. »Das ist das Einzige, worauf wir hoffen können.
Wir dürfen aber nicht außer Acht lassen, dass der Baron den Schuldigen suchen lassen wird, der die Sicherheit des Clans in Gefahr bringt. Und wir wissen alle, dass die Dracas über Methoden verfügen, die es schwer machen, Geheimnisse zu bewahren. Verflucht! Da halte ich mich hier verborgen, damit keiner der Erben, der in Irland war, auf meine Witterung stößt, und ihr seid so blöd, eine solche Blutspur zu legen!«
Milan hob die Schulter. »Es müsste nicht unbedingt ein Vampir gewesen sein.«
»Ach nein? Was denn sonst?«
Milan hielt Tonkas bohrendem Blick tapfer stand. »Wie wäre es mit dem irischen Wolf? Er hätte es gewesen sein können.«
In Tonkas zornigem Blick glomm Interesse auf. »Ja, das wäre eine Möglichkeit. Ich werde darüber nachdenken, wie man ihn ins Gespräch bringen könnte. Das heißt aber nicht, dass ich euch damit einen Freibrief erteile, hier in Wien weiterhin Menschen zu zerfleischen! Nehmt euch so viel Blut wie nötig, aber lasst keine Leichen herumliegen. Wenn die Dracas uns auf die Spur kommen …«
»Du fürchtest die Dracas?«, wunderte sich Aurica.
»Nein! Ich fürchte, dass unsere Mission noch einmal scheitert. Einmal sind die Erben
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