Die Erben der Nacht 04 Dracas
ihrem Schicksal entgangen. Ich will nicht, dass dies ein zweites Mal passiert. Noch ehe das Jahr zu Ende geht, wird großes Entsetzen über die Dracas hereinbrechen, über die Vamalia und die Pyras, die Vyrad, Nosferas und Lycana, wenn sie erfahren, dass ihre Brut vernichtet ist. Unsere Erben werden die Vorherrschaft der Upiry für lange Zeit sichern. Also benutzt euer Hirn, ehe ihr euch wieder zu solch unüberlegten Handlungen hinreißen lasst! Sie könnten all unsere Pläne zunichte machen.«
»Ich dachte, sie hat gesagt, wir sollen möglichst wenig denken, damit die Dracas uns nicht aufspüren«, brummelte Jesko, ein vierschrötiger Vampir mit schwarzem, verfilztem Haar und dichten Augenbrauen, der sonst nie viel sprach. Sein Körperbau sprach von den enormen Kräften, die in seinen Armen schlummerten.
Tonka verdrehte die Augen. »Jesko, tu mir einfach den Gefallen und lass keine Leichen mehr herumliegen, ja? Alles andere hat dich nicht zu kümmern. Ich sage dir dann schon, was du zu tun hast.«
SALON IM PALAIS TODESCO
Während Tonka in den Grüften unter der Michaelerkirche ihre Probleme mit den anderen Upiry in den Griff zu bekommen suchte, beschäftigten sich im Palais auf der Braunbastei noch zwei andere Vampire mit den jüngsten Leichenfunden.
Baron Maximilian starrte auf das Zeitungsblatt, das sein Schatten auf den zierlichen Sekretär im Stil Louis XVI gelegt hatte. Zweimal las er den Artikel durch. Dann ballten sich seine Hände zu Fäusten und er schlug so kräftig zu, dass die geschwungenen Beine des Möbels knirschten.
»Was bringt dich so auf, mein Bruder?«, erkundigte sich Baronesse Antonia, die mit rauschenden Röcken herantrat. Wortlos schob er ihr das Zeitungsblatt hin. Langsam, dass ihr auch kein wichtiges Detail entging, las sie die Zeilen durch. Im Gegensatz zu ihrem Bruder war ihr erster Gedanke nicht, welcher der Dracas es gewagt hatte, gegen die Anweisungen des Clanführers zu verstoßen. Das Gefühl war so stark und durchschoss sie so unvermittelt, dass sie es nicht unterdrücken konnte.
Der Meister!
Sehnsucht und Furcht vermischten sich zu einer verzehrenden Flamme. Sie warf ihrem Bruder einen raschen Blick zu. Hatte ihr überschäumendes Gefühl ihn berührt? Nein, er stand noch immer über den Zeitungsartikel gebeugt und fragte sich, wer wohl der Rebell in seiner Familie sein könnte. Oder hatte gar ein Unreiner es gewagt? Dann sollte er seinen Zorn kennenlernen!
Sorgfältig verschloss die Baronesse ihren Geist, ehe sie sich gestattete, weitere Überlegungen anzustellen.
Konnte das wirklich bedeuten, dass der Meister endlich nach Wien zurückgekehrt war? Warum konnte sie dann seine Anwesenheit nicht spüren? Verbarg er seine mächtige Aura, damit die Dracas ihn nicht bemerkten? Aber warum hatte er sich nicht bei ihr gemeldet? Sie war seine treue Dienerin, die seinen Wünschen bedingungslos zur Verfügung stand. Hatte sie das die vergangenen Jahre über nicht bewiesen? Sie begehrte nichts weiter, als ihm zu dienen - und eines Tages an seiner Seite nach
Transsilvanien zu reisen, um die Herrin seiner Trutzburg hoch in den Karpaten zu werden.
Baron Maximilians zornige Worte rissen sie aus ihren Träumen. »Ich werde mir jeden einzelnen vorknöpfen und seinen Geist so lange auspressen, bis ich den Schuldigen gefunden habe! Nicht dass ich nicht verstehe, dass man seine Leidenschaft nicht immer unter Kontrolle hat. Ich kenne den Reiz des einen Moments, ehe der Herzschlag zum letzten Mal erklingt - aber das ist keine Entschuldigung dafür, einfach Leichen herumliegen zu lassen und die Kriminalpolizei auf den Plan zu rufen. Ich will damit nicht sagen, dass wir Dracas uns vor irgendwelchen Menschen fürchten müssten. Dennoch ist es niemals klug, schlafende Hunde zu wecken.«
Die Baronesse überlegte fieberhaft. Sie glaubte nicht an die Schuld eines Dracas, doch zu welchen Erkenntnissen sollte der Baron kommen, wenn er nicht den kleinsten Hinweis auf den Schuldigen entdecken konnte? Man könnte vielleicht einen der Unreinen opfern. Sein Gedächtnis ein wenig manipulieren und ihn dann dem Baron präsentieren? Sie war durchaus in der Lage, einen Geist so unrettbar zu zerstören, dass in ihm nur noch das zu finden sein würde, was sie ihm eingepflanzt hatte. Natürlich würde sich der Unreine nicht wieder davon erholen. Er musste vernichtet werden. Die Baronesse überlegte schon, wer sich für dieses Opfer eignete, als ihr - wie zuvor den Upiry - ein anderer Einfall kam. Dieser weiße
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