Die Erben der Nacht 04 Dracas
Toten nicht verantwortlich. Ihr müsst an anderer Stelle suchen.«
Die Baronesse sah Ivy nachdenklich an. Irgendetwas ging in ihr
vor, doch sie verstand es meisterhaft, ihre Gedanken zu verschließen. Ein dünnes Lächeln erschien auf ihren Lippen, das Ivy eher Anlass zur Sorge gab.
»Gut, wenn du dich für deinen Wolf verbürgst, dann will ich dir dieses Mal Glauben schenken. Aber pass auf ihn auf, denn wenn noch ein Mord geschehen sollte und wir auch nur einen Hinweis darauf finden, dass der Wolf darin verwickelt ist, werde ich mich nicht damit begnügen, ihn in eine Schlafkammer sperren zu lassen!«
Ivy zwang sich zu einer Verbeugung. »Ich werde Seymour nicht aus den Augen lassen, das verspreche ich Euch. Sollte es weitere Tote geben, dann hat er nichts damit zu tun.«
Sie ging hinaus, Seymour folgte ihr. Was hat sie nur vor?
Ivy hob die Schultern. Ich weiß es nicht, aber es ist auf alle Fälle gesünder für dich, wenn du nicht von meiner Seite weichst.
An mir soll es nicht liegen. Du bist es, die mich zuweilen wegschickt, erinnerte er sie.
Ja, und sollte dies wieder einmal notwendig werden, müssen wir dir einen guten Leumundszeugen besorgen, bei dem du bleibst und der im schlimmsten Fall für deine Unschuld bürgen könnte.
Pah, als ob ich Menschen reißen würde! Sie soll sich mal unter ihren Dracas nach der Bestie umsehen.
Vielleicht bist du aber ein bequemerer Sündenbock?
Seymour knurrte. Das werden wir sehen!
Während sich die anderen Erben zum Blauen Salon aufmachten, um bei dem Altehrwürdigen Guntram weitere Lektionen in Deutsch oder eher in Wienerisch zu erhalten, kehrte Alisa in den kleinen Salon der Erben zurück und nahm sich die neue Ausgabe der Neuen Freien Presse vor, die Hindrik ihr besorgt hatte. Weder Tammo noch Sören waren aufgetaucht. Vielleicht trieben sie sich zusammen herum. Alisa machte sich keine Gedanken. Hindrik hatte die Sache sicher im Griff und vermutlich war es gefährlicher, wenn Tammo mit den Pyras unterwegs war, die um dumme Einfälle nie verlegen waren. Doch Joanne und Fernand saßen bei Guntram und mühten sich mit Vokabeln und Grammatik ab.
Alisa war erst auf Seite zwei ihrer Zeitungslektüre angekommen, als sie ein Augenpaar auf sich gerichtet spürte. Hastig ließ sie das Blatt sinken. Franz Leopold stand im Türrahmen und beobachtete sie - wer weiß wie lange schon -, ein versonnenes Lächeln auf den Lippen. Er war wie immer korrekt gekleidet und gekämmt. Warum nur sah er sie so an? Das war nicht auszuhalten. Ihre Haut begann zu kribbeln, als würden Ameisen über ihre Arme spazieren.
»Was gibt es?«
»Ich bin gekommen, um zu sehen, ob du dich vielleicht langweilst, so ganz ohne Unterricht.«
»Nein, wie du siehst, komme ich gut zurecht.« Demonstrativ hob sie die Zeitung hoch.
Franz Leopold nickt. »Ja, das sehe ich. Die Frage ist nur, willst du deine spannende Lektüre unterbrechen?«
»Um was zu tun?«, wollte Alisa misstrauisch wissen.
Franz Leopold trat ein, blieb dann aber in der Mitte des Salons stehen. Außer ihnen war niemand anwesend. Für einen Moment wirkte der Dracas ein wenig verunsichert, doch das war sicher nur eine Täuschung des schwachen Lichts. War er nicht stets die Selbstsicherheit in Person?
»Nun, ich habe mich gefragt, was du von Johann Strauss hältst.«
»Der Walzerkönig? Was soll ich von ihm halten? Er hat schöne Musik geschrieben. Was soll die Frage?« Alisa fühlte sich zunehmend irritiert und verunsichert.
»Er spielt im Stadtpark im Kursalon, und da dachte ich, ob wir nicht hinübergehen und hören, wie gut es sich auf seine neuesten Kompositionen Walzer und Galopp tanzen lässt.«
Alisa schwieg verblüfft. Hatte sie das jetzt richtig gehört? Franz Leopold fragte sie, ob er sie zum Tanz ausführen durfte? Sie ließ sich seine Worte noch einmal durch den Kopf gehen, konnte aber keine Fallen und Stolperstricke erkennen. Sein Ton hatte ernsthaft geklungen.
»Was hältst du davon? Nur so ein Einfall, falls du Lust hast. Du darfst keine zu großen Erwartungen hegen. Der Kursalon ist ganz nett, aber natürlich nicht der Redoutensaal der Hofburg oder der Ballsaal in Schönbrunn …«
Er verstummte. Alisa starrte ihn immer noch fassungslos an. Er hatte gerade wie ein normaler Junge geklungen, der seinen ganzen Mut zusammennehmen muss, um ein Mädchen zu einem Rendezvous zu bitten. War das wirklich Franz Leopold de Dracas?
»War ja nur so eine Idee …«, murmelte er und machte Anstalten, sich zur Tür
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