Die Erben der Nacht 04 Dracas
zurück.
»Indem Sie, wie alle zivilisierten Menschen, Ihre Karte bei unserem Butler abgeben und darauf warten, dass Sie zum Vormittagsbesuch gebeten werden!«
Ich bin aber kein zivilisierter Mensch. Vermutlich bin ich weder das eine noch das andere, dachte Luciano. Und zu einem Anstandsbesuch am Vormittag kann ich auch nicht kommen.
»Ja, vielleicht hätte das ein normaler Herr der Gesellschaft so gemacht«, räumte Luciano ein.
»Und dazu zählen Sie sich nicht? Kein Herr der Gesellschaft oder nicht normal?«, neckte sie.
»Das müssen Sie schon selbst herausfinden.«
Eine kleine Pause trat ein, in der sich Verlegenheit ausbreitete, bis Clarissa sich ihrer Unterrichtsstunden in Konversation und gutem Benehmen erinnerte und ihn fragte, ob er das Palais zu besichtigen wünsche. Luciano willigte gerne ein. Natürlich war ihm klar, dass sie nur von den Repräsentationsräumen der Beletage sprach. In die privaten Wohnräume der Familie, die Dienstbotenkammern im Mezzanin unter dem Dach oder auch in Küche, Vorratsräume und Ställe würde sie ihn natürlich nicht führen. Er folgte ihr aus dem Ballsaal in einen nicht minder prächtigen Salon und dann in ein Musikzimmer. Clarissa hielt eine oberflächliche Unterhaltung aufrecht, während Luciano krampfhaft überlegte, was er sagen sollte. Er konnte ja schlecht von seiner Familie berichten, die in
den Resten des alten Neropalasts unter dem Oppiushügel hauste. Oder von der Akademie der Vampire. Von seinen Freunden, die wie er nur nachts umherstreifen konnten und sich schon bald vom köstlich warmen Blut der Menschen ernähren würden.
Was könnte er sonst für ein Thema ansprechen? Er spürte, dass sie sich langsam über sein Schweigen Gedanken zu machen begann. Was könnte er sie fragen? Er versuchte sich zu erinnern, was über ihre Familie in der Zeitung gestanden hatte. Der Spott über ihren Vater und die Behauptung, er besitze mehr Geld als Geist, war sicher kein gutes Thema. Verzweifelt schritt Luciano an den Portraits im Musiksalon entlang. Vor zwei ovalen Bildern in goldenen Rahmen blieb er stehen.
»Ist das nicht Johann Strauss, der berühmte Walzerkönig?«
Clarissa nickte. »Das ist er vor ungefähr fünfzehn Jahren. Ich war noch sehr klein, als er hier ein- und ausging - und, ja, seine Frau Jetty in diesen Räumen kennenlernte. Das ist die Dame im Bild daneben.«
»Ein schöne Frau mit Ausstrahlung«, lobte Luciano, dem nichts anderes einfiel.
Clarissa nickte ein wenig zurückhaltend. »Ja, das finde ich auch, aber nicht jeder hier im Haus ist damit einverstanden, dass diese Bilder hier hängen.«
»Warum?«, erkundigte sich Luciano sofort. Sie war so reizend, wenn sie sprach, und es gefiel ihm einfach, ihr lebhaftes Mienenspiel zu beobachten.
»Jetty, oder richtig gesagt Henriette Treffz lebte mit meinem Onkel Moritz zusammen. Sie hat ihm zwei Kinder geboren, doch dann traf sie Johann Strauss und die beiden verliebten sich ineinander.«
»Was geschah dann? Sie hat den Onkel verlassen, nicht wahr?«
Clarissa nickte. »Ja, er trug es gelassen und gab ihr noch eine großzügige Abfindung. Und so hat er vielleicht dazu beigetragen, dass Strauss seine wundervolle Operette Die Fledermaus schrieb. Er verzichtete eine Zeit lang auf die meisten Konzertauftritte und widmete sich ganz seiner Komposition, während sie davon lebten, was Jetty mit in die Ehe gebracht hatte.«
Wider Willen hörte Luciano interessiert zu. Da brach Clarissa ab und schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund.
»Oh nein, das hätte ich wohl nicht erzählen sollen.«
»Warum? Ist es ein großes Familiengeheimnis?«
Clarissa schüttelte den Kopf. »Nein, das nicht, aber es schickt sich ganz und gar nicht für die Tochter des Hauses, mit einem Fremden über Verhältnisse und Trennungen und dann auch noch über Geld zu sprechen!«
Luciano lachte. »Jetzt, wo Sie es sagen, finde ich es auch ganz entsetzlich unschicklich. Fräulein Clarissa, ich bin schockiert!«
Sie sah ihn ein wenig verschüchtert an. »Sie scherzen mit mir?«
»Aber ja! Mich hat die Geschichte prächtig amüsiert, denn ich glaube, es gibt nichts Langweiligeres, als die Themen, die der gute Ton für ein junges Mädchen als schicklich vorsieht.«
Clarissa nickte und stimmte ihm aus ganzem Herzen zu. »Nicht wahr? Und erfahren sollen wir auch nichts Deratiges. Wenn ich nicht mein Kammermädchen hätte, das mir jeden Klatsch sofort berichten muss, würde ich überhaupt nichts mitbekommen. Sie besorgt mir auch
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