Die Erben der Nacht 04 Dracas
mitten ins Gewühl. Das war etwas anderes, als mit den anderen Erben unter den Anweisungen der Tanzmeisterin im Ballsaal der Dracas! Nicht dass der Saal hier nicht weitläufig gewesen wäre. Aber die vielen Paare, die sich auf der Fläche drehten, ließen Alisa um ihr Kleid und ihre Füße fürchten. Wie sollte das gehen, ohne dass sie ständig hart zusammenstießen? Doch zu ihrer Verwunderung schaffte es Franz Leopold, einen Weg zwischen all den Fräcken und bunten Kleidern hindurchzufinden, ohne dass ein anderes Paar sie auch nur berührte oder er sich in seinen Schritten hätte verhalten müssen.
Langsam entspannte sich Alisa und ließ sich vertrauensvoll von Franz Leopold führen. Die Musik erfüllte sie, strömte in ihren
Geist und von dort durch ihren Körper bis in die Füße, die niemals wieder stillstehen wollten. Es war ein Rausch, der sie ein wenig schwindelig machte. So ähnlich mochte es sein, wenn Menschen der Champagner in den Kopf stieg. Viel zu schnell war der Tanz zu Ende. Alisa strahlte Franz Leopold offen an. Sie hatte sich zwar im Laufe der Zeit angewöhnt, in seiner Gegenwart vorsichtig und stets vor seinem Spott und den verletzenden Kommentaren auf der Hut zu sein, doch in diesem Moment konnte sie ihn nur anlächeln. Sie fühlte sich einfach zu glücklich.
»Es ist so wunderbar! Ich danke dir. Ich will nie wieder damit aufhören.«
Und dieses Mal nützte er ihre Verletzlichkeit nicht aus. Er lächelte zurück. »Dann sollten wir uns gleich auf den nächsten Tanz stürzen. Ah, was höre ich, der Vergnügungszug , eine schnelle Polka. Los, komm. Das wird ein Spaß! Sei ganz locker und lass dich einfach führen. Ich verspreche dir, dass du es unbeschadet überstehst.« Er strahlte so offen, dass auch das letzte Misstrauen schwand.
»Und ab ins Getümmel«, murmelte Alisa. Sie merkte schon nach den ersten Sprüngen und Drehungen, dass der Dracas nicht zu viel versprochen hatte. Und so überließ sie ihren Körper seinen Armen und tauchte in den fröhlichen Strudel ein, der sie mit sich riss und verschlang.
Sie tanzten noch Wiener Blut und die Tritsch-Tratsch-Polka, Geschichten aus dem Wienerwald und Du und Du. Sogar die Demolierpolka, die Strauss anlässlich der Abrissarbeiten der Stadtbefestigung bei der Anlage der Ringstraße komponiert hatte, führte er noch einmal auf. Zum Schluss ließ er ein paar Melodien aus der Fledermaus erklingen. Als die letzten Töne verklangen, tauchte Alisa wie aus einem Traum auf. Nun nahm sie die Menschen um sich herum wieder wahr. Sie alle waren erhitzt und verschwitzt, die Wangen der Damen glühten. Alisa schluckte trocken. Der Blutdurst brandete so plötzlich in ihr auf, dass sie sich am liebsten über den jungen Mann neben sich hergemacht hätte, der mit einer drallen Blonden flirtete.
»Vielleicht ist es besser, wenn wir jetzt ein wenig an die frische Luft gehen«, sagte sie unsicher.
Franz Leopold nickte und nahm ihren Arm. »Ja, sie sind schon recht appetitlich, wenn sie ihr Blut so in Wallung gebracht haben.«
Draußen in der Stille des nächtlichen Parks holte Alisa tief Luft und allmählich beruhigte sie sich wieder. Sie wandte sich Franz Leopold zu. »Danke! Danke für diese wundervolle Nacht.«
»Was? Doch nicht etwa noch wundervoller als Unterricht?«, näselte er spöttisch.
»Viel, viel wundervoller!«, gab Alisa mit Inbrunst zurück.
»Ja, ja, der Zauber des Walzers.« Franz Leopold lachte, aber es klang dieses Mal nicht überheblich.
Schweigend und in ungewohntem Gleichklang ihrer Seelen schlenderten sie zum Palais Coburg zurück. Die Raben, die im Schutz der gelb belaubten Bäume gewartet hatten, folgten ihnen in einigem Abstand.
»Wann sehe ich dich wieder?«, drängte Luciano und küsste noch einmal Clarissas Hand. Im Laufe des Abends, während die Musikdarbietungen, Lesungen und Gedichtbesprechungen unbemerkt an den beiden vorbeirauschten, hatten sie plötzlich zum vertrauten und so ganz unschicklichen Du gefunden.
»Wenn du möchtest, schon morgen«, gab sie schüchtern zurück.
Sie hatten sich unbemerkt auf den Balkon geschlichen, der sich über die ganze Breite des Ballsaals entlangzog, und standen nun im Schutz der Dunkelheit hoch über der nächtlichen Straße.
»Wir könnten auf dem Ring flanieren.«
Luciano nickte. »Gern!« Es war ihm völlig gleichgültig, was sie vorschlug. Hauptsache, er konnte mit ihr zusammen sein. Was die Dracas dazu sagen würden und wie es ihm überhaupt gelingen sollte, noch einmal dem
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