Die Erben der Nacht 04 Dracas
ließ die Druidin Tara Ivy und Seymour bewachen, nachdem die beiden in Paris in Gefahr geraten waren? Das würde passen und wäre eine einfache Erklärung, die ihn nicht beunruhigen musste. Doch so recht wollte er nicht an diese Lösung glauben. Seine Witterung nahm etwas wahr, das ihm nicht gefiel. Seine Sinne warnten ihn vor einer Gefahr, die irgendwo hier in Wien lauerte.
Franz Leopold hatte in Irland gelernt, wie man seinen Geist einem Tier näherte und wie man es sich zu Diensten machte. Er
fixierte den Raben auf dem höchsten Ast, den er am besten sehen konnte, und sandte seine Gedanken aus. Doch kaum berührte er den Geist des Vogels, sandte dieser einen Warnruf, breitete die Flügel aus und flog davon. Die anderen folgten ihm.
So ein Mist! War es Ivy nicht ebenso ergangen? Wenn er nicht davon ausging, dass diese Vögel ungewöhnlich sensibel und schreckhaft waren, dann sorgte hier jemand dafür, dass seine Geheimnisse gewahrt blieben. Nachdenklich setzte Franz Leopold seinen Weg fort. Fast hätte er vergessen, warum er hier auf dem Ring unterwegs war, als Luciano weiter vorne die Straße querte. Seine ganze Körperhaltung drückte so viel freudige Erwartung aus, dass der Dracas ahnte, sie würden ihr Ziel bald erreichen. Und richtig, Luciano betrat den Park, der sich um die Karlskirche erstreckte, und lief dort auf einen kleinen, halb im Gebüsch versteckten Pavillon zu.
Franz Leopold fiel ein junges Mädchen auf, das in einiger Entfernung scheinbar ziellos auf und ab schlenderte. Selbst aus dieser Entfernung war klar, dass es nicht Clarissa sein konnte, selbst wenn sie sich für diesen Ausflug in ein einfaches Gewand gehüllt hätte. Nein, das Mädchen war kleiner und einfach nur unscheinbar.
Nun entdeckte sie Luciano und ließ ihn den ganzen Weg bis zur Tür des Pavillons nicht aus den Augen, machte aber keine Anstalten, sich ihm zu nähern. Als er eingetreten war und die Tür hinter sich schloss, setzte sie ihren Weg fort. Sie ging auf die von einer hohen Kuppel überwölbte Barockkirche zu, vor der sich zwei prächtige Säulen erhoben, über die sich spiralförmige Reliefe wanden. Doch das Mädchen war nicht an der Karlskirche interessiert. Auf dem großen Platz vor der Kirche hielt sie inne, wandte sich um und machte kehrt. Ihr Blick war fest auf die Tür des Pavillons geheftet.
Es musste sich um Clarissas Kammermädchen oder eine andere Dienerin der Todescos handeln, in deren Gesellschaft Clarissa das Haus verlassen durfte. Wobei sich der Dracas sicher war, dass Clarissa keine Erlaubnis hatte, zu dieser Tageszeit auszugehen - noch dazu zu einem so verschwiegenen Ort. Wie Clarissa das Kammermädchen wohl geködert hatte, das Versteckspiel mitzumachen und den Mund zu halten? Mit Geschenken oder mit Drohungen?
Vermutlich beides. Und doch musste dem Mädchen klar sein, dass es sie mehr als nur ihre Stelle kosten konnte, sollte etwas herauskommen. Ihre hochgezogenen Schultern und das wechselnde Mienenspiel sagten Franz Leopold, dass sie sich gar nicht wohl in ihrer Haut fühlte.
Vielleicht sollte er sie ein wenig auf heitern?
Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er forsch auf sie zuschritt. Das Mädchen bemerkte ihn erstaunlich spät. Erschrocken presste es die Hände auf ihre Brust. Franz Leopold drang so mühelos in ihren Geist ein, dass er sich selbst wunderte, und zerstreute ihre Ängste.
Vor mir musst du dich nicht fürchten. Komm her und sage mir, wie du heißt.
Sie tappte unsicher auf ihn zu. Ihr Gesichtsausdruck war leer. Nein, was für ein einfältiges Ding. Da hatte ja manche Ratte, die er in Paris durch die unterirdischen Labyrinthe dirigiert hatte, mehr Persönlichkeit gehabt, dachte Franz Leopold verächtlich.
»Guten Abend«, hauchte sie und sah seltsam verzückt zu ihm auf. »Ich bin Liesgret. Ich arbeite hier in Wien als Zofe. Meine Herrin ist Fräulein Clarissa von Todesco …«
»Ja, ich weiß, und sie ist im Augenblick in diesem Pavillon dort drüben und vermutlich äußerst beschäftigt mit ihrem Verehrer.«
Das Mädchen erschrak und starrte den Dracas mit weit aufgerissenen Augen an. »Woher wissen Sie das? Wer sind Sie und was wollen Sie?«
Sie machte Anstalten, davonzulaufen, vermutlich, um ihre Herrin zu warnen, aber Franz Leopold hielt sie am Ärmel fest. Ein besänftigender Blick in ihren Geist genügte, um die Furcht zu vertreiben.
Schade, dass sie so ein dummes Ding war und gar keine körperlichen Reize aufweisen konnte als ihr junges, warmes Blut.
Anderseits,
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