Die Erben der Nacht 04 Dracas
eine richtig schwere Lektion!«
Er sah Alisas Ehrgeiz in ihren Augen auf blitzen. Das war immerhin besser, als ihre Enttäuschung mit ansehen zu müssen. Franz Leopold nickte ihr zum Abschied zu und lief die Treppe hinunter.
»Was hast du denn vor?«, rief sie ihm hinterher, doch er tat so, als habe er es nicht gehört. Auf dem schnellsten Weg machte er sich zur Karlskirche auf, genauer gesagt zu dem kleinen Pavillon im Park.
Wie erwartet, hielt die einfältige Zofe wieder Wache, doch sie war ihm kein Hindernis. Er ließ sie ein wenig verwirrt und mit glasigem Blick zurück. Und schon stand er vor dem Pavillon. Er konnte sie durch die geschlossene Tür wittern. Was für ein Duft! Er musste sich zusammenreißen, dass seine Lust nicht mit ihm durchging. Wieder einmal fragte er sich, wie es Luciano gelang, ihr so nahe zu kommen, ohne sie zu beißen.
Franz Leopold klopfte und drückte dann die Klinke. Es war abgeschlossen! Da hörte er ihre helle Stimme.
»Bist du es, Luciano? Warte, ich öffne dir.« Allein dieser federnde, frische Schritt konnte einem Lust auf mehr machen.
Der Schlüssel drehte sich im Schloss und sie riss voll freudiger Erwartung die Tür auf, nur um den Fremden auf der Schwelle sprachlos anzustarren. Es war fast komisch, wie sich ihre Freude in Überraschung und dann in Erschrecken wandelte. Ihr fein geschnittenes Gesicht war ein offenes Buch. Nein, da lohnte es kaum, in ihre Gedanken einzudringen. Was konnte er dort anderes finden?
Franz Leopold vollführte einen eleganten Kratzfuß. »Bitte fassen Sie sich, Fräulein Clarissa, ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich weiß, Sie erwarten eigentlich meinen Freund Luciano. Darf ich eintreten? So ist es recht und vielleicht wäre es gut, die Tür zu schließen.«
Er hatte nicht vorgehabt, sie so zu lenken, doch bis sie sich von ihrer Überraschung erholt hatte, blieb ihm keine andere Wahl. Womöglich würde sie schreien oder davonlaufen, was ganz und gar nicht in seinem Sinn wäre.
»Setzen wir uns hierher auf diese bequem gepolsterte Bank.« Franz Leopold sah sich um.
»Ein ganz vortreffliches Plätzchen für ein Stelldichein. Was? Diesen verschwiegenen Ort hat sich Ihr Bruder eingerichtet, um sich
heimlich mit der Frau Ihres Klavierlehrers zu treffen? Und wie sind Sie an den Schlüssel gekommen? Ah, lassen Sie mich raten, er hat Ihnen den Schlüssel gar nicht gegeben. Nein, er ahnt nicht, dass Sie von seinem Geheimnis wissen und den Schlüssel entwendet haben. Und Ihre Familie glaubt, Sie seien zu diesen abendlichen Stunden mit Ihrer Zofe beim Gesangsunterricht, den Ihnen praktischerweise jene untreue Ehegattin erteilt? Für diesen unschuldigen Blick sind Sie aber ganz schön raffiniert, meine Liebe!« Franz Leopold lachte entzückt. »Sie haben die Gute doch nicht etwa erpresst? Oh, ich sehe, ich habe ins Schwarze getroffen. Nein, wie schrecklich. Ich bin entsetzt!«
Clarissa starrte ihn nur stumm an, doch da sie unwillkürlich alle Antworten auf seine Fragen dachte, erfuhr Franz Leopold alles, was er wissen wollte.
»Nun sagen Sie mir nur noch, warum Sie das tun. Sie scheinen mir keine Kokotte, und ich bin überzeugt, man hat sie tugendhaft erzogen. Wie kommt es, dass ein Mädchen aus gutem Haus den Anstand derart mit Füßen tritt?«
Die Antwort bestand nicht aus Worten. Es war eine Woge von Gefühlen, die Franz Leopold so unerwartet überrollte, dass er ein wenig verwirrt zurückwich.
War das Liebe? Die große, unerschütterliche Liebe, die allen Widerständen trotzt? Ja, er hatte von so etwas gelesen. Es hieß, dass dies bei Menschen ab und zu vorkam. Doch darüber zu lesen, war etwas anderes, als unvermittelt in diesem Platzregen von überschäumendem Gefühl zu stehen.
Angewidert verzog Franz Leopold die Oberlippe - und doch konnte er nicht verhindern, dass ein Teil von ihm sich sehnsuchtsvoll fragte, wie es wäre, so zu lieben und geliebt zu werden.
Er rutschte ein wenig näher zu dem Mädchen, das ihn unverwandt ansah. Er spürte ihren Widerstand. Ganz anders als ihre Zofe war sie ein Mensch von unerschütterlichem Charakter und starkem Willen, den man nicht so leicht beherrschte. Natürlich war sie dem Dracas und seinen geistigen Kräften nicht gewachsen. Wie sollte sie. Sie war trotz allem nur ein Menschenmädchen.
Franz Leopold legte den Arm um sie, zog sie zu sich und küsste
sie auf ihren wundervoll rosigen Mund. Wie weich und zart. Was für ein Geschmack. Er küsste sie noch einmal. Ihr Körper war schlank und biegsam.
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