Die Erben der Nacht 04 Dracas
und was ging dort oben vor sich? Oder wollte er das gar nicht so genau wissen? Ihn streifte ein Widerhall von Clarissas wundervoll duftendem Blut. Und dieser Geschmack! Die Erinnerung war so stark, dass er wirklich glaubte, es riechen zu können.
Franz Leopold erstarrte. War das wirklich nur eine Erinnerung? Konnte er sich nicht stets auf seine feine Witterung verlassen?
Er rannte los. Über den Hof, die Treppe hinauf in den zweiten Stock, wo er die privaten Gemächer vermutete. Er musste erst einem Diener ausweichen, dann flog er geradezu den Gang hinunter. Nun hatte er den Blutgeruch ganz deutlich in der Nase. Er musste nicht lange suchen, bis er das richtige Zimmer fand. Ein Schlüssel steckte im Schloss, doch die Tür war nicht versperrt. Dieses Mal war er froh über Lucianos Leichtfertigkeit. Er nahm den Schlüssel, schlüpfte ins Zimmer und schloss dann hinter sich ab, ehe er seine Aufmerksamkeit auf das Geschehen vor sich richtete. Da lagen die beiden Körper eng umschlungen auf den zerwühlten Laken. Lucianos Körper zuckte wild, während sich das Mädchen nicht mehr rührte. Der Blutgeruch war nun so intensiv, dass es Franz Leopold schwerfiel, einen klaren Kopf zu bewahren. Er kniff sich mit seinen
langen Fingernägeln in den Arm und schüttelte wild den Kopf. Nein, dieses Mal würde er stark sein und überlegt handeln. Er würde nicht zulassen, dass sich Luciano selbst zerstörte, und vielleicht auch sein Mädchen retten - wenn da noch etwas zu retten war.
Mit einem Satz war er am Bett und riss Luciano mit solcher Gewalt von seinem Opfer los, dass sie beide zu Boden stürzten.
»Du!«, keuchte der Nosferas, als er ihn erkannte. »Ich werde dich zerquetschen und zermalmen. Ich werde nicht eher ruhen, bis du zu einem Häufchen Staub zerfallen bist.«
»Ja, ja, das kannst du alles tun«, erwiderte Franz Leopold scheinbar gelangweilt, während er alle Hände voll zu tun hatte, den aufgebrachten Nosferas zu bändigen. »Später. Wenn wir Zeit dafür haben. Nun musst du erst einmal wieder zu dir kommen und nach deinem Mädchen sehen. Vielleicht ist ihr Leben ja noch zu retten.«
Luciano, der im Augenblick zuvor noch wie ein Wilder gegen den Dracas gekämpft hatte, sackte in sich zusammen.
»Clarissa«, murmelte er. »Was habe ich getan?«
»Bist du jetzt wieder klar bei Sinnen? Ja? Gut, dann lasse ich dich los. Aber untersteh dich, gleich wieder zu versuchen, mir mit deinen Krallen die Augen auszukratzen.«
Doch Luciano hatte nur noch das Mädchen im Sinn. Er stürzte zu ihr und hob sie in seine Arme. Schlaff fiel ihr Kopf nach hinten.
»Wach auf, oh bitte, Clarissa, wach auf!« Luciano flehte und schüttelte sie, doch sie war in so tiefe Bewusstlosigkeit gesunken, dass er sie nicht mehr erreichen konnte.
»Was habe ich nur getan«, jammerte er. »Wie konnte ich? Ich bin nicht besser als du.«
»Sehr freundlich«, knurrte Franz Leopold. Er riss einen Streifen vom Laken und schlang ihn um die noch immer stark blutende Wunde. Doch er ahnte, dass es zu spät war. Das Mädchen hatte zu viel Blut verloren, um zu überleben. Ihr Pulsschlag war nur noch schwach. Das Herz verlor seinen regelmäßigen Rhythmus. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis es für immer verklang. Franz Leopold rechnete nicht damit, dass sie noch einmal zu Bewusstsein kommen könnte.
»Sie stirbt!«, rief Luciano verzweifelt. Auch ihm blieb nicht verborgen,
dass ihr Zustand hoffnungslos war. Wenn er dazu in der Lage gewesen wäre, hätte er vermutlich geweint. Er wiegte sie in seinen Armen, während ihre Seele langsam aber sicher verlosch.
Plötzlich hob Luciano den Blick und sah Franz Leopold wild an. »Du musst ihr helfen.«
»Ich?«
»Ja, du, denn es ist alles deine Schuld. Wenn du nicht deine perfiden Spielchen getrieben hättest, dann wäre das alles nicht passiert!«
Dann wäre es vielleicht nicht heute, aber irgendwann später so gekommen, dachte Franz Leopold, sagte es aber nicht. Stattdessen fragte er: »Und was meinst du, was ich tun könnte, um sie zu retten?« Er las die Antwort in Lucianos Gedanken und wich zurück.
»Oh nein, versteige dich da nicht in eine fixe Idee. Ich bin zwar ein Dracas und verfüge über viele Kräfte, die du nicht hast, aber ich kann sie nicht wandeln.«
»Du willst es nicht!«, warf ihm Luciano vor.
»Das vielleicht auch, denn ich weiß nicht, ob das ein kluger Einfall ist. Aber ich kann es auch gar nicht. Ich würde nur mit ihr zusammen vergehen - wogegen du vermutlich nichts einzuwenden
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