Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)
büßen musste. Das brackige Wasser schwappte ihm ins Gesicht und brannte in Augen und Nase, während er unermüdlich mit den Beinen schlug und die Arme Zug um Zug durch das Wasser pflügten.
Als er den Kopf wieder über Wasser hob, fiel sein Blick auf einen langen schmalen Schatten, der über die Oberfläche glitt. Das Boot schien auf dem Weg zu der einsamen Insel zu sein und würde seinen Weg kreuzen. Tammo reckte den Kopf aus dem Wasser. Er konnte eine Silhouette ausmachen, die die typisch menschliche Aura verströmte. Nicoletta? Kam sie zurück, um ihn zu holen? Um sich zu entschuldigen, dafür dass sie ihn einfach auf diesem öden Sandhaufen seinem Schicksal überlassen hatte?
Tammo spürte, wie der Zorn wieder in ihm aufkochte. Ja, sollte sie ihn um Verzeihung bitten, doch so schnell war er nicht bereit, ihre Täuschung und ihre Lügen zu entschuldigen.
Tammo sah noch immer zu dem Boot hinüber, als er merkte, dass es seine Richtung änderte. Es war Nicoletta, kein Zweifel, aber sie war nicht auf dem Weg zur der Insel, auf der er den Tag verbracht hatte. Sie steuerte das gleiche Ziel an, das er im Auge hatte: die Insel mit dem Kloster oder was immer es war. Noch besser! Sie wollte ihr Versprechen gar nicht einlösen. Sie wollte Tammo auf der Pestinsel verrotten lassen! Nun war er richtig sauer. Tammo tauchte wieder unter und kraulte in kräftigen Zügen auf das Boot zu. Dann durchbrach er die Wasseroberfläche, mit solch einem Schwung, dass eine Welle aufspritzte und sich über das Boot ergoss. Es war ihm egal, dass er ihren vom Regen eh schon nassen Umhang noch mehr durchweichte und sie so erschreckte, dass sie einen Schrei ausstieß und den Riemen fahren ließ. Im letzten Moment gelang es ihr noch, nach ihm zu greifen, ehe er ins Wasser fiel.
»Was für eine unerwartete Begegnung«, ätzte Tammo. »Ist das nicht die kleine Oscuro, die mich hinters Licht geführt und bei den Pesttoten ausgesetzt hat? Vielleicht enttäuscht es dich zu hören, dass sich meine Asche noch nicht mit der ihren vermischt.«
»Tammo!« Nicoletta stieß noch einen Schrei aus. Sie zog den Riemen ein und beugte sich vor.
»Beim heiligen Sankt Markus, was tust du hier?«
»Ich schwimme!«, gab er zurück. »Ist das nicht offensichtlich?«
»Schon, aber du kannst auf diese Weise nicht die Lagune durchqueren. Niemand kann das!« Sie streckte ihm die Arme entgegen.
»Nein? Denkst du, ich könnte ertrinken? Das wäre doch immerhin besser, als von der Sonne verbrannt zu werden, meinst du nicht?«
Er ignorierte die helfenden Hände und schwamm stattdessen mit kräftigen Zügen weiter, sodass sie wieder nach dem Riemen greifen musste, um nicht abgetrieben zu werden.
»Ich wollte nicht, dass du verbrennst, deshalb habe ich dich auf eine Insel gebracht, auf der du Schutz findest.«
»Wie rücksichtsvoll! Ich bin Ihnen äußerst verbunden, Signorina. Aber ich finde auch die Aussicht, ganz langsam vor Hunger zu vergehen, nicht sehr reizvoll.«
»Ich wollte dich von dort wieder abholen.«
»Ja? Bei der Richtung, die du eingeschlagen hast, muss ich dann wohl annehmen, dass du dich in der Dunkelheit verfahren hast.«
Er schwamm noch schneller. Der Zorn gab ihm Kraft. Außerdem war ihm bewusst, dass er gegen die immer stärker werdende Strömung ankämpfte, die ihn in die offene Lagune hinauszuziehen drohte. Die Insel kam einfach nicht näher. Wie viele Stunden waren bereits vergangen? Wie viel Zeit blieb ihm, das rettende Ufer zu erreichen? Es regnete noch immer in Strömen, und der Himmel war von dichten Wolken verhangen, doch selbst wenn es weiterhin so bewölkt war, würde er hier im Wasser nicht lange überleben können, wenn der Tag anbrach.
Nicoletta griff wieder nach dem Riemen. »Komm ins Boot, dann werde ich dir alles erklären. Bitte. So kannst du es nicht schaffen!«
»Danke, nein. Deine Hilfe kenne ich ja jetzt. Sie wird mir wieder nicht gut bekommen.«
»Es tut mir leid, dass ich dich getäuscht habe. Vielleicht habe ich falsch entschieden, aber ich wusste nicht, wie ich diesen Konflikt lösen sollte, ohne ein Versprechen zu brechen. Bitte, ich werde dich nicht noch einmal belügen.«
»Nein? Das glaube ich gern, denn ich werde dir keine weitere Gelegenheit dazu geben«, stieß er zwischen den Zähnen hervor. »Verschwinde und lass mich in Ruhe.«
Doch sie ließ nicht von ihm ab. Verbissen ruderte sie weiter neben ihm her. Und trotz seiner übermenschlichen Kraft gelang es ihm nicht, sie abzuhängen.
»Tammo, bitte,
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