Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)
mich schon wieder ins Wasser zu werfen? Ich war noch nicht einmal richtig trocken.«
Sie sahen mit Erleichterung, dass kein frisches Blut die Bandagen tränkte. Hindrik beugte sich herab und löste den Verband um seinen Arm. Tatsächlich, die Wunde hatte endlich aufgehört zu bluten und begann bereits, sich zu schließen. Und auch das Bein sah schon besser aus.
»Ja, es war nötig, dir ein Bad zu verpassen«, beantwortete Tammo seine Frage. »Und ganz ehrlich, in dem Frack hast du eh keine gute Figur mehr gemacht.«
Luciano starrte den Vamalia verblüfft an. Alisa und Leo grinsten. Anna Christina aber legte den Kopf in den Nacken und lachte. Es war ein helles, angenehmes Lachen, frei von Überheblichkeit oder Verachtung. Als das Lachen zu einem Glucksen verklang, sagte sie mit schwankender Stimme:
»Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich in eurer Gesellschaft derart amüsieren würde. Eines muss man euch lassen: Es ist immer was los. Und nun wird es, glaube ich, Zeit, dass wir uns um Clarissa kümmern.«
Sie sah Leo an, der aber senkte den Kopf und schüttelte ihn dann kaum merklich.
Anna Christina trat zurück. »Gut, wie du willst.« In ihren Ton schlich sich wieder die alte Gleichgültigkeit. »Sagt mir Bescheid, wenn ihr meine Hilfe braucht.«
»Ich denke, zuerst muss sich Luciano erholen«, schlug Hindrik vor. »Ich bringe ihn zu seinem Sarg.« Die anderen nickten zustimmend.
Alisa trat zu der Leiche des Vermummten, ging in die Hocke und zog seine Maske vom Gesicht.
»So jung«, sagte sie, »aber ohne jede Ehre. Er hat versucht, dich von hinten zu erstechen, während du in ein Gefecht verwickelt warst. Das sind also die gefürchteten und bewunderten Schemen von Venedig!«
Leo trat zu ihr und sah auf den jungen Mann herab, der vielleicht siebzehn oder achtzehn Jahre alt gewesen sein mochte. Tammo folgte ihm.
»Ihre Ehre gilt nur den Menschen. Vampire sind in ihren Augen Monster, die man ohne Gewissensbisse ermorden darf. Zumindest denken einige von ihnen so. Ich glaube, nur ihr Clanführer hält die Fassade von Ehre noch aufrecht. Dahinter ist der Zerfall schon lange im Gang«, sagte Tammo leise.
Alisa bedeckte das bartlose Gesicht wieder mit der Maske. »Er hätte nicht sterben müssen«, sagte sie. »So aber blieb mir keine andere Wahl.«
Sie verließen den Palazzo und folgten den anderen bis über den Kanal, blieben dann aber an der Haustür stehen.
»Ich kann jetzt unmöglich nur herumsitzen«, sagte Alisa. »Ich brauche Bewegung.«
Leo nickte. »Ich komme mit.«
Sie gingen nebeneinander durch die dunklen, verlassenen Gassen. Immer wieder versperrte einer der Kanäle ihren Weg. Sie überquerten einige Brücken und wandten sich dann dem Canale della Giudecca zu.
»Tammo weiß etwas«, sagte Alisa schließlich. »Es belastet ihn und treibt ihn um, aber er will es uns nicht sagen.«
Leo nickte. »Das ist richtig.«
»Ich meine damit nicht nur, dass er sich in dieses Oscuromädchen verliebt hat. Ich spreche von Clarissa.«
Leo hob lediglich die Brauen. »Ich weiß.«
Alisa blieb stehen und sah Leo fest an. »Ich habe versucht, in seine Gedanken einzudringen, aber er ist auf der Hut. Ich schaffe es nicht, seine Barriere zu durchbrechen. Ich spüre nur seine Traurigkeit und seine Unsicherheit.«
Leo hob die Brauen. »Dann solltest du vielleicht dein Training wieder aufnehmen, um deinen Geist zu schärfen und deine Fähigkeiten zu vervollkommnen.«
Alisa knuffte ihn in den Arm. »Leo, du bist und bleibst ein Scheusal!«
Leo verbeugte sich mit ernster Miene. »Stets zu Ihren Diensten, Signorina.«
Sie sah ihn prüfend an. Etwas stimmte nicht mit ihm. Auch bei Leo konnte sie diese seltsame Stimmung wahrnehmen. Was hatte das zu bedeuten? Seine Miene verschloss sich und er wandte den Blick ab. Da verstand sie.
»Ach, so ist das. Dir sind seine Gedanken natürlich nicht verborgen geblieben.«
»Nein«, gab er zu. »Ich bin ein Dracas, schon vergessen? Es ist schwer, etwas vor uns zu verheimlichen.«
Das können nur die Larvalesti, dachte Alisa, doch genauso gut hätte sie den Gedanken laut aussprechen können.
Leo nickte. Seine Miene verfinsterte sich. »Ja, das können nur diese seltsamen Schemen mit ihrem Zauberpulver, für das wir immer noch kein Gegenmittel haben. Aber vielleicht ist das jetzt auch gleichgültig. Wenn wir auf unsere Rache verzichten, haben wir keinen Grund mehr, sie zu verfolgen und anzugreifen. Sie haben nichts in ihrer Hand, das für uns von Bedeutung wäre.«
Er
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