Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)
losgehen.«
»Toller Plan«, murmelte Leo. »Und hast du dir auch schon überlegt, wie wir ihn erkennen, wenn sie alle die gleiche Verkleidung tragen?«
Tammo seufzte. »Nein. Das wird schwierig, ich weiß.«
Sie schwiegen, während Leo und Tammo das Boot mit ihren Riemen so schnell wie möglich antrieben. Der schlanke Rumpf schoss durch das Wasser, das im Schutz des Hafens nicht mehr so rau war wie in der Lagune. Schon konnten sie den Campanile über dem Markusplatz aufragen sehen, und dann glitt die Gondel zwischen die Paline, wo bereits mehr als ein Dutzend Gondeln auf- und abschaukelten und an ihren Leinen zerrten.
Leo und Tammo sprangen auf den bereits eine Handbreit überfluteten Steg und befestigten das Tau, doch Alisa zögerte. Sie sah zu Clarissa hinüber, die ebenfalls aufgestanden war.
Leo hielt inne. »Wir können dich nicht mitnehmen. Clarissa, bleib bitte hier. Setz dich in die Felze und zieh die Vorhänge zu. Ich hoffe, es wird nicht lange dauern.«
Zu Alisas Überraschung protestierte Clarissa nicht. Sie nickte, schob sich die Kapuze noch tiefer über das Gesicht und zog sich in den kleinen Pavillon zurück. Vielleicht war sie ganz froh, das Wiedersehen mit Luciano noch ein wenig hinauszögern zu können. Oder konnte sie die Gondel gar nicht mehr verlassen, nun, da seit dem Wechsel der Gezeiten einige Zeit vergangen war? Alisa watete zum Kai, der ebenfalls unter Wasser stand, dabei hatte die Flut längst noch nicht ihren Höhepunkt erreicht. Ein durchdringendes Tuten erklang von irgendwoher. Das Wasser würde weiter steigen.
Die drei Vampire machten sich zum kaiserlichen Garten auf, den Napoleon im Schutz des Palazzo Reale und der großen Bibliothek hatte anlegen lassen. Unter dem Dach eines Pavillons, zu dem einige Stufen hinaufführten, warteten vier dunkle Gestalten auf sie.
Nicoletta stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als sie Tammo erkannte. »Da seid ihr ja. Wir haben noch fast eine Stunde Zeit. Lasst uns zusehen, dass wir hineinkommen, damit ich euch noch einen Überblick über die Räumlichkeiten des Palasts verschaffen kann.«
Sie huschten durch den Garten und wateten dann unter den Arkaden der Bibliothek hindurch, bis sie den prächtigen Eingang sehen konnten, der den Palastbau mit der Basilika verband. Eine durchaus symbolträchtige Verbindung. Der Apostel Markus, dessen geraubte Gebeine in der Basilika ruhten, war zwar der Heilige der Stadt, doch auch er sollte ganz der Serenissima dienen, die der Doge repräsentierte. Der Sitz des Staatsoberhaupts war für Venedig nicht nur irgendein Palast gewesen. Jeder Neuankömmling sah von der Wasserseite aus die imposante Fassade des Gebäudes, das die Macht, den Reichtum, aber auch die Stabilität der Republik verkörperte.
Die Vampire und das Mädchen sahen zu dem etwas zurückversetzten Eingang hinüber, über dem der geflügelte Löwe ein aufgeschlagenes Buch dem vor ihm knienden Dogen entgegenhielt. Das goldene Buch der Stadt, in das über Jahrhunderte alles eingetragen worden war – bis Napoleon kam und es öffentlich verbrannte. Eine Schmach, von der sich die Venezianer nicht wieder erholen sollten. Nun war der Palast nur noch ein Gebäude, in dem Erinnerungen wie Möbel und Bilder vom Staub der Geschichte bedeckt wurden.
»Das Tor ist verschlossen und verriegelt«, bemerkte Nicoletta. »Ich habe zwar keine Schwierigkeiten mit einer normalen abgeschlossenen Zimmertür, doch dieses Tor bekomme ich sicher nicht auf. Wenn wir erst einmal im Hof des Palasts sind, haben wir keine Schwierigkeiten mehr.«
»Dann klettern wir da hinauf«, schlug Leo vor. »Dort oben ist ein Durchgang.«
Er deutete auf die beiden Skulpturen am Eck des unteren Arkadengangs, der mit seinen Bögen dem Gebäude sein luftiges Aussehen verlieh. Darüber zog sich eine Loggia mit Spitzbögen, die mit den für Venedig typischen gotischen Rosetten verbunden waren. Wie die unteren Arkaden bestanden sie aus weißem istrischem Stein. Darüber erhob sich die berühmte weiß und rosa gemusterte Marmorfassade.
Die anderen nickten. Selbst Nicoletta schien darin keine Schwierigkeit zu sehen. Wenn nötig, würden sie ihr eben helfen.
Leo sah zu seiner Cousine hinüber, die ein Bündel auf dem Rücken trug.
»Was ist da drin?«
Anna Christina stellte den Sack auf die Treppenstufe des Cafés und öffnete ihn. Sie zog drei Degen und die Pistolen hervor, die Alisa und Tammo erbeutet hatten, und verteilte sie. Außerdem nahm sie Samtmasken und drei schwarze
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