Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)
teilgenommen? Nein, sie musste sich nicht mit einem schlechten Gewissen herumschlagen. Tammo hatte es gewollt und Nicoletta ebenfalls. Nun musste es nur noch funktionieren.
Sie hörte, wie die Tür geöffnet wurde, und spürte plötzlich Leos Anwesenheit. Alisa fuhr herum und sah ihn ins Zimmer treten. Sie eilte auf ihn zu und umarmte ihn.
»Ist bei euch alles in Ordnung?«
Leo zog sie an sich und gab ihr einen flüchtigen Kuss. »Ja, natürlich, was sollte bei uns denn nicht in Ordnung sein?«, sagte er betont hochnäsig.
Sie knuffte ihn in den Arm. »Du meinst, wenn man sich Sorgen machen muss, dann um die Vamalia?«
»Du nimmst mir die Worte aus dem Mund«, näselte er, und beide lächelten einander an. Dann glitt sein Blick über die Chaiselongue zum Bett hinüber. Fragend hob er die Brauen.
»Ein Unfall«, seufzte Alisa. »Nicoletta konnte es nicht verhindern. Er ist gesprungen und hat sie mit sich gezogen.«
»Und dann sind sie abgestürzt«, ergänzte Leo. Alisa nickte.
Leo trat einen Schritt näher und betrachtete Nicoletta. Tammo hielt noch immer ihre Hand. Natürlich sah Leo, dass die warme Aura von ihr gewichen war.
»Sie ist tot«, sagte er. Dann beugte er sich vor und betrachtete die Male an ihrem Hals, die noch immer feucht von ihrem letzten Blut glänzten. Leo drehte sich zu Alisa um und hob die Augenbrauen. Er hatte verstanden.
»Ein gefährliches Spiel! Ich muss mich wundern, dass du und Tammo in aller Frische noch so blühend vor mir steht. Gibt es Kräfte in euch, die mir bisher entgangen sind?«
Alisa schüttelte den Kopf. »Anna Christina«, sagte sie leise. »Sie hat Tammo ihre Kraft gegeben.«
»Anna Christina?«, wiederholte Leo. »Meine Cousine?«
Alisa nickte mit einem Lächeln. »Erstaunlich, nicht wahr?«
Leo war fassungslos. »Erstaunlich? Das ist ein zu schwacher Ausdruck für das Unfassbare. Ich frage mich, ob ich sie je gekannt habe.«
Da fiel Alisa auf, dass die Dracas noch nicht wieder zurückgekehrt war. »Wo ist sie überhaupt? Hast du sie getroffen?«
Leo nickte. »Ja, sie sagte mir, wo ich euch finden werde.«
»Und wo ist sie jetzt?«
»Sie ist losgeflogen, uns eine Gondel zu besorgen. Ich denke, das ist die bequemste Möglichkeit, zum Palazzo Dario zurückzukehren.«
Es dauerte nicht lange, da trat Anna Christina ins Zimmer. »Die Gondel wartet. Jetzt müssen wir nur noch durch die Halle, ohne einen Aufruhr zu veranstalten.«
Calvino sah auf und griff sich mit fahrigen Bewegungen an seine Hüfte. »Nehmt den Beutel und blast ein wenig des Pulvers in die Luft, dann wird euch niemand aufhalten.«
Anna Christina nahm den Beutel entgegen, sagte aber: »Wir werden keine Schwierigkeiten haben. Es ist nur der Portier in der Halle. Die Polizei durchkämmt ganz Castello, um die geflohenen Larvalesti aufzuspüren.«
Sie ging voran. Tammo folgte ihr mit Nicoletta und Leo mit Calvino in den Armen. Alisa bildete den Schluss.
Zu ihrer Überraschung hatte Anna Christina nicht nur eine Gondel am Anleger vor dem Danieli vertäut. Im Boot warteten Hindrik und Luciano mit Clarissa. Als Alisa sah, dass auch ihre Kleider so triefnass waren wie Leos Hemd und Hosen, raunte sie ihm zu: »Ich denke, es gibt noch so einiges zu erzählen.«
Leo nickte. »Später.«
Er ergriff einen der Riemen, Hindrik nahm den anderen. Schweigend steuerten sie auf das Bacino hinaus und nahmen Kurs auf den Canal Grande. Es war spät geworden. Der Sturm hatte sich verzogen, der Wind schlief ein und es regnete nicht mehr. Langsam zog sich auch die Flut zurück, und das Wasser gab die Gassen und Plätze nach und nach wieder frei, während ganz Venedig in tiefem Schlaf versunken schien. Hinter den Fenstern der Palazzi war es dunkel, und auch auf den Kanälen war kein Boot mehr unterwegs. Sie landeten beim Palazzo Dario an und brachten Calvino hinauf in eines der Gemächer. Hindrik betrachtete das gebrochene Bein.
»Es muss gerichtet werden. Sonst wächst es schief zusammen und er kann vermutlich nicht mehr gehen.«
Alisa sah ihn ratlos an. »Wie sollen wir jetzt einen Doktor finden?«
»Ich könnte es tun«, bot Hindrik an und überraschte Alisa wieder einmal. Es war erstaunlich, was sich Hindrik in seinem Leben oder während der mehr als hundert Jahre als Vampir alles angeeignet hatte.
Calvino stöhnte und biss mit schmerzverzerrter Miene die Zähne zusammen, während Hindrik sich an seinem Bein zu schaffen machte. Dann legte er ihm eine Schiene an und deckte ihn zu. Alisa stellte einen Krug
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