Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)
sah, wie er überlegte, ob sie die Wahrheit sprach. Alisa intensivierte ihren Blick.
»Sie hatten gerade Besuch?«
Der Wirt starrte zurück. »Ich wüsste nicht, was Sie das angeht«, brummte er abwehrend.
Das war die falsche Antwort. Sie sammelte die Kraft ihrer Gedanken und band ihn mit ihrem Blick. Er müsste Wachs in ihren Händen sein und sich nichts mehr wünschen, als ihr zu dienen. Stattdessen kam er ihr bockig.
Alisa biss die Zähne aufeinander und suchte nach Kraftlinien der Erde, um ihre Energie zu stärken.
»Wir haben ihn gesehen. Leider wollte er nicht bleiben und machte sich gleich wieder auf den Heimweg – über die Dächer hinweg, wie üblich, aber das wissen Sie ja«, fügte sie hinzu, ganz auf seine Gedanken konzentriert. Selbst wenn sie ihn nicht dazu brachte, es laut auszusprechen, müsste er die Antworten, die sie suchte, doch zumindest in seinen Gedanken bewegen, doch die Bilder blieben nebelhaft, ließen sich nicht greifen.
»Was wollen Sie hier, Signorina?«, verlangte er stattdessen zu wissen und war gar so dreist, nach ihrem Arm zu greifen. Es war für Alisa ein kleiner Schock, doch sie nutzte die Nähe ihres Opfers, um nach seinen Händen zu fassen und ihm ihren Blick aufzuzwingen, sodass er ihm nicht mehr ausweichen konnte.
»Was wollte der Larvalesti hier?«, fragte sie ihn eindringlich und umklammerte seinen Geist, so weit es ihr gelang.
» Larvalesti?«, wiederholte er ein wenig undeutlich und kicherte. »Sie haben den Schemen gesehen, Signorina? Ja, so nennt man sie, denn keiner kann sie fassen. Sie sind wie Geister, die alles sehen und hören und denen niemand entkommt, der sich gegen sie stellt. Uns normalen Sterblichen wird es niemals gelingen, mehr als einen flüchtigen Blick auf sie zu werfen.«
»Sicher haben nicht viele hier die Ehre, von ihnen aufgesucht zu werden«, fügte Alisa hinzu. »Was wollte der Schemen von Ihnen? Hat er eine Nachricht gebracht? Was planen die Larvalesti ?«
Der Mann starrte sie an. Alisa war sich nicht sicher, ob sie seinen Geist nun endlich unter Kontrolle hatte. Er wehrte sich innerlich und entwand sich ihr immer wieder.
»Wer glauben Sie, bin ich?«, prostestierte er. »Ein einfacher Schankwirt soll wissen, was die Oscuri planen?«
»Oscuri?«, hakte Alisa nach. »Warum nennen Sie sie Oscuri?«
Der Wirt kicherte. »Weil sie so heißen, Schätzchen. Nur die Unwissenden, die sich vor ihnen fürchten, nennen sie Larvalesti.«
»Wenn Sie das wissen, dann können Sie mir sicher auch sagen, was der Oscuro hier wollte«, fügte sie sanft hinzu, während sie den Druck auf seinen Geist noch einmal verstärkte. Verflucht, war das schwierig. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie sich das letzte Mal so hatte anstrengen müssen, um in den Verstand eines einfachen Mannes einzudringen.
Vielleicht als ich dir in Wien die Grundlagen dieser Kunst beibrachte?, schlug Leos sanfte Stimme in ihrem Geist vor. Als sie seine Hände auf ihren Schultern spürte, fuhr sie erneut zusammen. Schon wieder! Was war mit ihrer Wachsamkeit? Mit ihren Instinkten? Mit den scharfen Sinnen der Vampire?
Verwirrt, antwortete Leo. Von unseren schemenhaften Gegnern, deren Gefährlichkeit wir nicht zu geringschätzen sollten.
Alisa ließ den Wirt nicht aus ihrem Blick, während sie die Verbindung mit Leos Geist vertiefte.
Er ist dir also entwischt?
Ja, ich muss es zu meiner Schande gestehen, aber wir werden hier nicht eher weggehen, bis wir aus diesem Herrn alles herausgeholt haben, was sein Geist zu bieten hat.
***
»Und was hat sein Geist geboten?«, erkundigten sich Hindrik, Tammo und Luciano, die bereits in ihrem Versteck auf sie warteten.
»Nicht viel«, seufzte Alisa. »Ich fürchte, er wusste wirklich nichts Genaues. Es scheint für Donnerstagnacht etwas Großes geplant zu sein, so viel haben wir herausgefunden.«
»Na großartig«, seufzte Luciano. »Am Donnerstag, irgendwo in Venedig. Und wir haben keine Ahnung, wo dieser Überfall stattfinden soll. Wir können nicht die ganze Stadt überwachen oder gar noch die Dutzenden von Inseln in der Lagune. Diese Information allein nützt uns nichts.«
Hindrik widersprach. »Wir haben gehört, dass es ein ungewöhnlicher Coup sein wird. Da werden die Larvalesti nicht gerade die Gräber in San Michele ausrauben oder die Werkstatt eines Glasbläsers auf Murano. Nein, ich denke, wir können alle Stadtteile ausschließen, die von den einfachen Menschen bewohnt werden, die niemals in ihrem Leben Reichtümer
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